Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung
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AG Diversität der Lebensführung

 

Koordination: Dr. Karin Jurczyk & Prof. Dr. Sabine Walper

 

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe

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Forschungen zu "Managing Diversity in Business and Education" bleiben ohne die Berücksichtigung der Diversität von Lebensführungen unvollständig. Beide, sowohl Erwerbsarbeit als auch Bildung, sind auf ko-produktive Leistungen im privaten Bereich substantiell angewiesen: Erwerbsarbeit bedarf eines Ortes der Regeneration und Reproduktion sowohl gegenwärtiger als auch zukünftiger Arbeitskräfte; entsprechende Leistungen sollen in persönlichen Care-Beziehungen erbracht werden. Auch Bildung in den Institutionen Kindergarten und Schule basiert auf Bildungsleistungen in Familien in der frühen Kindheit. Informelle, non-formale und formelle Bildungsprozesse interagieren aber auch darüber hinaus kontinuierlich während des gesamten Bildungsprozesses über die Lebensspanne hinweg.

Diese wechselseitigen Bezüge zwischen privater Lebensführung einerseits und Bildung und Beruf andererseits wurden insbesondere im Rahmen ökologisch-systemischer, handlungs- und rollentheoretischer Konzeptionen thematisiert, empirisch jedoch nur unvollständig ausgelotet. Insbesondere gilt dies für die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kooperation von Elternhaus und Schule – zwei Institutionen, die sich trotz ihrer vielfältigen Interdependenzen keineswegs durchgängig als Kooperationspartner verstehen und verhalten, mithin vielfach Reibungsverluste produzieren, wie sie in ähnlicher Form für das Verhältnis von Familie und Erwerbsarbeit als Frage der work-life-balance thematisiert wurden. Veränderungen in den Bezügen zwischen privater Lebensführung einerseits und Teilhabe an Bildung und Beruf andererseits reflektieren sowohl „Entgrenzungen“ von Bildung und Beruf als auch Wandlungsprozesse in den Formen und der Ausgestaltung privater Lebensführung. Damit verbundene Fragen sollen hier in drei Zuspitzungen aufgegriffen werden:

  1. Forschung zum Themenkomplex „Lebensformen und Lebensführung im Wandel“ bezieht sich auf grundlegende Fragen der Familienforschung, die insbesondere im Rahmen groß angelegter Surveys aufgegriffen werden können. Entsprechende Erkenntnisse sollen u.a. Basisinformationen für die beiden anderen, stärker anwendungsorientierten Fragekomplexe liefern.
  2. Arbeiten zum Thema „Gender, Care und Work-Life-Balance“ stellen geschlechtstypische Normalitätsannahmen, deren Bedeutung für die Arbeitsteilung und insbesondere für Investitionen in den Bereich von Care-Beziehungen sowie – eng damit verbunden - die Gestaltung der Work-Life-Balance in den Vordergrund.
  3. Fragstellungen zum Bereich „Erziehungs- und Bildungspartnerschaften“ fokussieren das Verhältnis von Familie und Bildungsinstitutionen (Kindergarten, Schule) und beziehen hierbei unterschiedliche Erwartungshaltungen und alltägliche Restriktionen in verschiedenen Bildungsgruppen, sozialen Milieus und ethnischen Gruppen ein.

(1) Lebensformen und Lebensführung im Wandel

Die statistische Dominanz der sog. „Normalfamilie“ von miteinander verheirateten Eltern und deren Kindern in einem Haushalt wird angesichts der zunehmenden Verbreitung „alternativer“ Familienformen – dazu zählen Alleinerziehende, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern – schwächer. Knapp drei Viertel der Familien in Deutschland sind Ehepaare mit Kindern, 18% der Familien sind Alleinerziehende und 8% nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern (Statistisches Bundesamt 2008), wobei allerdings in den Großstädten und den ostdeutschen Bundesländern alternative Familienformen mittlerweile schon knapp die Hälfte aller Familien ausmachen. Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Müttererwerbstätigkeit verliert auch die Hausfrauenehe – eine der wesentlichen Grundlagen des traditionellen Geschlechterarrangements – die Leitbildfunktion als Modell der familialen Lebensführung. Zwar praktizieren immer noch 44% der Paare mit Kindern unter 5 Jahren das Ernährermodell (Eichhorst et al. 2007), jedoch mit sinkender Tendenz. Die Herstellung des familialen Alltags obliegt weiterhin den Müttern, die nicht nur das Gros der Versorgungsaufgaben und die steigenden Anforderungen als „Bildungscoaches“ ihrer Kinder übernehmen. Sie tragen auch die Hauptverantwortung für den zunehmend komplexeren und anforderungsreicheren Familienalltag.

Diese Entwicklungen stehen in Zusammenhang mit einer zunehmenden Diversität der Lebensführungen von Frauen und Männern. Diese sind nicht nur durch veränderte Einstellungen und Lebenskonzepte jenseits von Ernährer- und Hausfrauenmodell bedingt, sondern auch durch neue entgrenzte Formen des Arbeitens und Wirtschaftens, die eine große zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität erfordern. Vor dem Hintergrund von Modellen der „bounded rationality“ (Esser, 1999) soll aufgezeigt werden, welche Logik der Wahl und Ausgestaltung von Partnerschaftsformen zugrunde liegt, welche situativen Opportunitäten und Restriktionen Fertilitätsentscheidungen beeinflussen (in Kooperation mit Johannes Huinink, Universität Bremen), welche Funktion hierbei die Qualität von Beziehungen zur Herkunftsfamilie hat, und wie diese Beziehungen wiederum durch Anforderungen und Erfahrungen in Partnerschaft, Elternschaft und Beruf beeinflusst werden (in Kooperation mit Bernhard Nauck, Universität Chemnitz). Besonderes Augenmerk gilt hierbei nicht zuletzt der Ausgestaltung von Elternschaft im Spannungsfeld zwischen kulturellen, milieu- und geschlechtstypischen Normen sowie beruflichen Anforderungen und Optionen. Diese Fragen können im Rahmen von groß angelegten Surveys und Panels (Familiensurvey und Kinderpanel des Deutschen Jugendinstituts sowie Beziehungs-und Familienentwicklungspanel PAIRFAM) verfolgt werden. Mit besonderem Fokus auf das frühe Erwachsenenalter kann an eine internationale Vergleichsstudie in Kooperation mit Arbeitsgruppen in Schweden, Italien, Spanien und neuerdings auch Portugal angeknüpft werden (Projekt YAGISS, siehe www.yagiss.de).

(2) Gender, Care und Work-Life-Balance.

Die Interaktionen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen sind durch eine nach wie vor wirksame geschlechtshierarchische Arbeitsteilung gekennzeichnet, bei der – trotz faktischer Variationen – Aufgaben im Care-Bereich ganz überwiegend den Frauen zugewiesen werden und im Bereich der Erwerbsarbeit Männer dominieren – nicht nur quantitativ, sondern vor allem hinsichtlich ihrer Aufstiegschancen. Sowohl der Erwerbs- als auch der Bildungsbereich basiert auf entsprechenden Normalitätsannahmen im Hinblick auf Arbeitsteilung, Formen privaten familialen Lebens und die Lebensführung von Männern und Frauen. Die Forschungslage zeigt jedoch, dass immer noch wirksame Normalitätsannahmen durch eine erhebliche faktische Diversität von Lebensformen und Lebensführungen konterkariert werden und so zu Reibungsverlusten und neuen Anforderungen beitragen.

Insbesondere der „Traditionalisierungseffekt“, den der Übergang zur Elternschaft in der Arbeitsteilung von Paaren bewirkt, führt bei egalitär orientierten Paaren zu beträchtlichen Spannungen (El-Giamal, 1997; Reichle & Werneck, 1999). Tatsächlich beharren viele Arbeitsmarkt- und Unternehmensstrukturen sowie Steuer- und Transfersysteme und die Bildungs- und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen weiterhin auf einem traditionellen Familienbild und fördern Zuverdienstmodelle, die sich spätestens im Scheidungsfall sowie beim Eintritt in die Rente erheblich negativ auswirken und weibliche Armut begründen, umso mehr als das neue Unterhaltsrecht auf die ökonomische Eigenständigkeit aller Mütter und somit das Ende der Hausfrauenehe setzt, ohne dass jedoch hierfür die Arbeitsmarkt-, Einkommens- und Infrastrukturbedingungen geschaffen wären.

Am deutlichsten entziehen sich qualifizierte Frauen der traditionellen Arbeitsteilung, so dass sich derzeit in Deutschland das Bild einer „exklusiven Emanzipation“ qualifizierter Frauen nachzeichnen lässt (Henninger et al. 2008) – allerdings um den Preis erhöhter Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen und/oder nur mit dem Rückhalt durch komplexe (Frauen)Netzwerke, die Teile der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen. Unklar bleibt dabei, wie sich die zunehmende Sensibilisierung für frühkindliche Entwicklungs- und Förderpotentiale sowie für die Bedeutung früher Bindungen auf die Gestaltung der innerfamilialen Arbeitsteilung und Investitionen in die Elternrolle („quality time“?), die Auswahl und Nutzung von unterschiedlichen Betreuungsformen der Kinder und Karrierepläne qualifizierter Mütter auswirkt. Diesen veränderten Perspektiven auf Elternschaft wurde bislang nur unzureichende Aufmerksamkeit geschenkt. Tatsächlich dürfte sich hier jedoch ein wesentlicher Ansatzpunkt bieten, um herkömmliche Programme zur Verbesserung der Work-Life-Balance zu erweitern. In der Erarbeitung entsprechender Angebote kann an das Elternprogramm „Familienteam“ angeknüpft werden, das an der LMU (Graf & Walper) entwickelt wurde (siehe www.familienteam.org). Bislang wurde die Wirkung solcher Elternkurse annähernd ausschließlich in ihrer Bedeutung für die Optimierung von Erziehung in der Familie analysiert. Ihre Rückwirkungen auf die berufliche Situation von Eltern sind so gut wie unbekannt.

Das Vereinbarkeitsproblem betrifft allerdings keineswegs nur Mütter, sondern wird zunehmend auch von Vätern wahrgenommen. Teilweise bemühen sie sich neben ihrer unverändert fortbestehenden Vollzeiterwerbstätigkeit um eine aktivere Vaterschaft (Meuser 2008) und verschachteln ihre zunehmend entgrenzte Erwerbsarbeit mit Familienaktivitäten (Schier et al. 2008). Gerade junge Männer und Väter sind jedoch gefangen im Modell des „modernisierten Ernährers“ (Zerle & Krok 2008), das die vollzeitberufliche Identität nicht in Frage stellt, sie aber ergänzt um aktive Vaterschaft. Wie dies durch geeignete Vorbilder, betriebliche Maßnahmen und innerfamiliale Aushandlungsprozesse gestützt werden kann, soll hier näher erkundet werden.

Derartige Fragestellungen sind Teil eines umfangreichen Fragekomplexes, der sich vor dem Hintergrund von Veränderungen in den Erwerbsstrukturen, Geschlechterrollen sowie Lebensformen mit „Spillover“-Prozessen von Work-to-Family, aber auch von Family-to-Work befasst. Diese Fragen sollen im Rahmen anwendungsorientierter Grundlagenforschung (qualitative und quantitative Befragungen) sowie Interventions- und Evaluationsstudien verfolgt werden, die neu entwickelte bzw. erweiterte Praxisangebote auf den Prüfstand stellen. Geplant ist eine enge Kooperation mit „People Management“ der LMU.

(3) Erziehungs- und Bildungspartnerschaften

Lernen bestimmt nicht unwesentlich große Teile des Familienalltags mit Schulkindern, wobei es vor allem die Mütter sind, die die Aufgabe des Bildungscoachings übernommen haben. Hausaufgabenerledigung entpuppt sich als familiale Schlüsselsituation für Konflikte, die bei fehlender elterlicher Kompetenz und kindlicher Verzweiflung zu emotionalen Katastrophen kumulieren kann (Wild & Gerber 2007). Gleichwohl ist Schule zunehmend auf die Kooperation mit Familien angewiesen, um kindliche Lernpotentiale möglichst gut zu nutzen und unnötige Reibungsverluste – etwa durch konkurrierende familiale Erwartungen und Anforderungen, Misstrauen oder Widerstand der Eltern – zu vermeiden. Tatsächlich hat sich ein höheres schulbezogenes Engagement von Eltern vielfach als förderlich für die kindliche Kompetenzentwicklung erwiesen, wenngleich auch nicht in allen Erscheinungsformen gleichermaßen (Fan & Chen, 2001).

Im Hinblick darauf, inwieweit und wie sich Eltern für schulische Belange ihrer Kinder engagieren, lassen sich drei Gruppen von Faktoren identifizieren (Hoover-Dempsey et al., 2005): (a) Motivationale Fakoren seitens der Eltern, insbesondere deren subjektive Konstruktion der Elternrolle sowie deren Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Hinblick auf die schulische Förderung der Kinder, (b) „Einladungen“ zum schulbezogenen Engagement durch andere, vor allem die Lehrer/innen, aber auch die Kinder sowie (c) der elterliche Lebenskontext (ökonomische Lebensverhältnisse, Familienklima und –kultur, zeitliche Spielräume, aber auch persönliche Ressourcen der Eltern). Dieses Modell liefert einen breiten (handlungstheoretischen) Rahmen, um spezifischeren Fragestellungen nachzugehen und die Bedeutung einzelner Faktoren nicht nur im Rahmen von Feldstudien, sondern auch durch geeignete Interventionen zu überprüfen. Hierbei soll zunächst untersucht werden, welche Formen von „Einladungen“ seitens der Schulen sich für unterschiedliche Gruppen von Eltern besonders eignen. Weiterhin soll geprüft werden, inwieweit sich elterliche Rollenkonstruktionen durch gezielte Interventionen verändern lassen. Hierbei werden insbesondere kulturelle Variationen der Elternrolle zu berücksichtigen sein. Die Erkenntnisse sollen u.a. in die Fortbildungsangebote des Zentrums für Lehrerbildung der LMU einfließen.

Kooperationspartner/innen

in Deutschland:

Prof. Dr. Peter Büchner (Universität Marburg, Erziehungswissenschaft)

Prof. Dr. Kerstin Jürgens (GHK Uni Kassel, Arbeits- und Gendersoziologie)

Prof. Dr. Birgit Geissler (Universität Bielefeld, Soziologie: Arbeit und Lebensführung)

Prof. Dr. Johannes Huinink (Universität Bremen; Familiensoziologie)

Prof. Dr. Helma Lutz (Universität Frankfurt, Frauen- und Geschlechterforschung)

Prof. Dr. Michael Meuser (Universität Dortmund, Gender Studies, qualitative Sozialforschung)

Prof. Dr. Bernhard Nauck (Universität Chemnitz, Familiensoziologie, Kultur-/Migrationsforschung)

Prof. Dr. Maria S. Rerrich, (FH München, Gender Studies, angewandte Sozialforschung)

Prof. Dr. Norbert Schneider (Universität Mainz, Familiensoziologie)

Prof. Dr. C. Katharina Spiess (FU Berlin, DIW)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (FH Wiesbaden, Familien/Elternbildung)

Prof. Dr. G.Günter Voß (TU Chemnitz, Arbeits- und Industriesoziologie)

Prof. Dr. Elke Wild (Universität Bielefeld, Pädagogische Psychologie)

international:

Prof. Dr. Guy Bodenmann (Universität Zürich)

Prof. Dr. Jeanne Fagnani (Universität Paris 1/CNRS)

Prof. Dr. Gordon Harold (University of Otoga, New Zealand)

Prof. Dr. Arlie R. Hochschild (University of California, Berkeley, USA)

Prof. Francois Höpflinger (Universität Zürich)

Pro. An-Magritt Jensen (Universität Trondheim, Norwegen)

Prof. Dr. Carmen Leccardi (Universita Milano)

Prof. Dr. Paula Matos (Universität Porto)

Prof. Dr. Jan Pryor (Victory University of Wellington, New Zealand)

Prof. Dr. Eugenia Scabini (Universita Cattolica Milano)

Prof. Dr. Carles Pérez Testor (Universität Barcelona)