Lehrstuhl für Schulpädagogik
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Teresa Tillmann - Die Bedeutung des Merkmals der "(Umgebungs-)Sensitivität" im (Belastungs-)Erleben von Lehrpersonen

Kurzbeschreibung

In den vergangenen Jahren rückten Fragestellungen zu der Belastung von Lehrkräften vermehrt in den theoretischen, empirischen und gesellschaftlich-politischen Vordergrund. Ob Lehrkräfte besonders stark von Stress betroffen sind, ist seitdem Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen und Untersuchungen. Entsprechende Studien fokussieren dabei häufig Ressourcen und individuelle Charakteristika, die es Lehrkräften erschweren, mit beruflichen Belastungen umzugehen.

Obwohl in entsprechenden Studien auch Persönlichkeitseigenschaften, insbesondere in Form der Big Five, mit in die Analysen aufgenommen wurden (vgl. Mayr, 2014), so lassen diese oftmals berufliche Merkmale bzw. die Interaktion der beiden Aspekte außer Acht.

Im Rahmen des beschriebenen Dissertationsvorhabens wird versucht, diese Forschungslücke zu schließen, indem es das Spektrum von möglichen wichtigen Persönlichkeitseigenschaften um das Temperamentsmerkmal der „(Umgebungs-)Sensitivität“ erweitert. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass es interindividuelle Unterschiede in der individuellen Verarbeitung von Reizen aus der Umgebung in den Blick nimmt und somit eine Schnittstelle zwischen personalen und umgebungsspezifischen Variablen darstellt.

Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich zahlreiche Forschungsströmungen mit Unterschieden hinsichtlich der Reizsensitivität von Erwachsenen (wie z.B. „Sensory-Processing Sensitivity“, Aron & Aron, 1997), Kindern („Differential Susceptibility“, Belsky & Pluess, 2009; „Vantage Sensitivity“, Pluess & Belsky, 2013; „Biological Sensitivity to Context“, Boyce & Ellis, 2006) und Tieren („Behavioral Plasticity“, Stamps, 2016). Diese wurden kürzlich zu einer übergeordneten Theorie der Umgebungssensitivität zusammengefasst (vgl. Pluess, 2015). Eine besondere Rolle spielt dabei, wie sich bereits durch den Namen erahnen lässt, die Umgebung für die Entwicklung von Menschen mit höherer Ausprägung dieser Sensitivität.

Auch für die aktuelle Stressforschung spielt dieser Forschungsstrang eine große Rolle. Im Vergleich zum Diathese-/Vulnerabilitäts-Stress Modell (vgl. Monroe & Simons, 1991), welches davon ausgeht, dass eine hohe Ausprägung bestimmter personaler Merkmale in Zusammenhang mit Belastung als Auslöser psychischer Erkrankungen fungieren können - während das Nichtvorhandensein dieser Merkmale zu keinerlei Veränderungen führt - so stellt die Theorie der Umgebungssensitivität zusätzlich die positiven Effekte dieser Merkmale in unterstützenden Umgebungen heraus. Während Studien von einer schnelleren Überreizung von Menschen mit erhöhter Sensitivität (vgl. Aron & Aron, 1997; Aron, 2006; Aron, Aron & Jagiellowicz, 2012; Acevedo et al., 2014) sowie von Zusammenhängen mit Depression und Stress (vgl. Benham, 2006; Brindle, Moulding, Bakker & Nedeljkovic, 2015) berichten, so kann gleichzeitig festgestellt werden, dass diese gleichzeitig besonders (und vergleichsweise in größerem Maß) von unterstützenden, positiven Umgebung profitieren (vgl. die Theorie der „Vantage Sensitivity“ nach Pluess & Belsky, 2013; Pluess & Boniwell, 2015; Pluess, Boniwell, Hefferin & Tunariu, 2017).

Dieses in den bisherigen Studien wahrgenommene Forschungsdesiderat bezüglich der Person-Umwelt-Integration in der Forschung zur Lehrerpersönlichkeit soll nun durch das vorliegende Dissertationsvorhaben aufgegriffen werden. Dabei wird insbesondere auf folgende Fragestellungen eingegangen:

  • Kann die Validität des Konstrukts (insbesondere in Abgrenzung von anderen diagnostischen Konstrukten, wie Stress, Angststörungen und Depression) bestätigt werden?
  • Können neueste Befunde von drei Sensitivitätsgruppen in den vorliegenden Datensätzen repliziert werden?
  • Inwiefern unterscheiden sich diese Gruppen von Lehrkräften hinsichtlich der Wahrnehmung des beruflichen Alltags sowie damit zusammenhängende Belastungen?
  • Können die mit Kindern mit erhöhter Sensitivität generierten Befunde bezüglich positiver Effekte von unterstützenden Umgebungsreizen in dem vorliegenden klinischen Kontext repliziert werden?

Die empirische Grundlage bilden die Daten von zwei Lehrerstichproben einer quantitativen Erhebung, die im Rahmen des Projekts "Risiko-Check für das Lehramt" gewonnen wurden. Die Gesamtstichprobe (N = 330) besteht dabei aus zwei Teilstichproben: Einer Gruppe mit in der Schule tätigen „gesunden“ Lehrer/innen (n = 130) und einer zweiten Stichprobe mit psychisch erkrankten Lehrkräften, die in der psychosomatischen Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee (dem Projektpartner des „Risiko-Check“-Projekts) stationär behandelt werden (n = 200). Alle Lehrkräfte bearbeiten im Querschnitt einen Fragebogen, der verschiedene quantitative Daten generiert. Zum einen sind dies persönliche Ressourcen und Verhaltensweisen, wie neben der gekürzten Skala zur Messung von Sensitivität (nach Aron & Aron, 1997) beispielsweise Bewältigungsstrategien (vgl. Hillert, Sosnowsky & Lehr, 2005) und Selbstwirksamkeit (vgl. Schmitz & Schwarzer, 2000). Zum anderen wird zusätzlich das Erleben der beruflichen Tätigkeit empirisch abgefragt (basierend auf theoretischen Ausarbeitungen von Rothland, 2013). Durch dieses Vorgehen ist es möglich, nicht nur einen Vergleich von psychisch erkrankten und psychisch gesunden Lehrer/innen zu realisieren, sondern gleichzeitig auch verschiedene Ausprägungen des Sensitivitätsmerkmals hinsichtlich dieser weiteren personalen sowie umgebungsspezifischen Variablen zu analysieren.

Das längerfristige Ziel liegt zum einen darin, das Merkmal der Umgebungssensitivität im beruflichen Kontext weiter zu analysieren und zum anderen darin, Ansatzpunkte für die Intervention und Prävention abzuleiten, die insbesondere für die Auswahl und Selbstreflexion zukünftiger Lehrkräfte von Bedeutung sein können.

Projektzusammenhang

Projekt "Risiko-Check für das Lehramt"