Lehrstuhl für Schulpädagogik
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Sophie Kluge - "Früh übt sich, wer ein übler Meister werden will.": Eine empirische Studie über Motive, Handlungen und Beurteilungen des Mogelns in der Grundschule.

Kurzbeschreibung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildet eine an der Ludwig-Maximilians-Universität eingereichte Dissertation über das Mogeln in der Schule mit dem übergeordneten Ziel, die Ausgangslage des Mogelns in der Grundschule aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht sowohl die Handlungs- als auch die Beurteilungsebene mit den damit verbundenen Motiven und Arten des Mogelns.

Während allgemeine gesetzliche Regelungen den Umgang mit mogelnden Grundschulkindern aufzeigen, wird in der Schulpraxis zwischen Lehrkräften und Schüler*innen durchaus auch kontrovers diskutiert, welche Verhaltensweisen dem Mogeln zuzurechnen sind. Diese Disparität spiegelt sich in einer bemerkenswerten Heterogenität der auf Mogeln bezogenen wissenschaftlichen Studien wider. Deren inhaltliche Schwerpunkte thematisieren das Mogelausmaß, die Arten und/oder die unterschiedlichen Motive des Mogelns. Jedoch erschwert die Vielzahl der Einzelstudien durch unterschiedliche Konzeptualisierung und/oder Operationalisierungen, die zu partiell disparaten Mogeldiagnostiken führen, einen Vergleich. Zudem bildet die beschriebene Befundlage vorrangig die Sekundarstufe II ab.

Demgegenüber liegen nur wenige empirische Befunde zum Mogelverhalten von Grundschulkindern vor.
Vor diesem Hintergrund verfolgt die Arbeit drei übergeordnete Forschungsfragen. Die erste Forschungsfrage fokussiert eine Erhebung der Schulrealität und beschreibt die Ausgangslage des Mogelns. Empirisch erprobte Erhebungsinstrumente stellen jedoch im deutschsprachigen Raum ein weiteres Desiderat dar, sodass eine Erhebung über einen selbstkonzipierten allgemeinen Schulleistungstest mit anschließender Selbstkorrektur erfolgt. Die zweite Forschungsfrage befasst sich mit den handlungsleitenden Motiven und den Beurteilungen des Mogelns. Diese werden über ein etabliertes quantitatives Messinstrument erhoben. Hingegen ändert sich innerhalb der dritten Forschungsfrage grundlegend die Perspektive. Mittels Interviews werden diese Motive aufgegriffen, exemplifiziert und um zusätzliche bisher unberücksichtigte Motive einschließlich ihrer Verbindungen zueinander auf die Grundschule bezogen. Eingebettet in ein Mixed-Methods-Design setzt sich die quantitative Basis aus 363 Fragebogendaten und die qualitativen Daten aus 25 Interviews mit Grundschüler*innen aus dem Großraum Leipzig zusammen.

Ein zentrales Ergebnis der Arbeit bezieht sich auf die in der ersten Forschungsfrage untersuchte Schulrealität: Jedes vierte Grundschulkind mogelt während des durchgeführten Schulleistungstestes. Hierbei unterscheiden sich mogelnde von nicht mogelnden Kinder durch schlechtere Schulleistungen und schlechtere Selbstkonzepte. Darüber hinaus bildet der zweite Forschungsschwerpunkt zwölf aus der hiesigen Forschung bekannte und vielfältige Motive (bspw. Noten, Lehrkraft, Klasse, Zeitersparnis) von Grundschulkindern ab, von denen sich neun in der qualitativen Erhebung bestätigen. Im Rahmen der dritten Forschungsfrage lassen sich zusätzlich zwei weitere Motive (Eltern, Leistungsmotivation) identifizieren. Gemäß dem Erkenntnisgewinn durch die angewandten Methoden hilft Mogeln als Kompensationsstrategie auf individueller Ebene, um der subjektiven Überforderung standzuhalten sowie elterlichen und schulischen Ansprüchen gerecht zu werden. Wesentlich sind in diesem Zusammengang die einseitige Konzentration auf und Überwertung von Noten. Auf schulischer Ebene scheint eine zunehmende Mogelaktivität mit steigender Akzeptanz mogelnder Kinder innerhalb der Klassengemeinschaft einherzugehen. Im Einklang mit diesem Ergebnis entsprechen die Arten des Mogelns tendenziell eher einer spontanen gemeinschaftlichen Handlung, die zumeist durch Zusammenarbeit geprägt ist.

Des Weiteren zeichnen die Ergebnisse altersabhängige Unterschiede im Mogelverhalten und einen Wandel von egozentrischen zu moralischen und kooperativen Motiven ab. Beispielsweise legen die Ergebnisse nahe, dass insbesondere Kinder ab der dritten Grundschulklasse die grundlegende Fähigkeit besitzen, ihre Handlungen (bewusst) moralisch zu reflektieren. Insgesamt deutet sich über die Einzelschulen hinaus ein gesamtgesellschaftliches, moralisch als fragwürdig einzuschätzendes Verhalten an, das stellvertretend für eine gesellschaftliche Struktur stehen könnte.

Aus den skizzierten Ergebnissen lässt sich ein Mehrebenenmodell des Mogelns in der Grundschule ableiten, das Motive systematisiert und diese der individuellen, schulischen, elterlichen, gesellschaftlichen und altersabhängigen Ebene zuordnet. Daran anschließend ergeben sich Präventions- und Interventionsmaßnahmen, die Mogeln einerseits als Chance durch (Re-)Evaluation der Fehlerkultur und Implementierung von Hilfsmitteln sehen, andererseits als Betrug mit der Forderung nach einem eindeutigen Regelkatalog mit dem Ziel einer Sensibilisierung aller involvierter Akteure zu bewirken.

Publikation

Online: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/30491/1/Kluge_Sophie.pdf