Fall 3.3 Impulse zur Falllösung: Handlungsoptionen
Welche Handlungsoptionen wären in der Situation möglich? Welche Fragen, Schwierigkeiten, Widersprüche etc. können sich ergeben? Beziehen Sie die Ergebnisse der Interpretation im Pkt. 1) und 2) in Ihre Überlegungen mit ein.
Die richterlichen Entscheidungen zum Thema Klassenfahrt befanden bislang, dass die Teilnahme der Kinder und Jugendlichen keine Pflicht ist. Daher haben die Eltern auch grundsätzlich das Recht, ihren Kindern das Mitfahren zu verbieten. Das impliziert auch, dass Schülerinnen und Schüler von sich aus die Teilnahme verweigern können (vgl. Spiegel, 2008).
Schülerin 1
In der Situation wird kein Gespräch der Lehrerin mit der Schülerin beschrieben. Es wäre jedoch auf jeden Fall wichtig und notwendig, ein Gespräch zu suchen, um besser abschätzen zu können, aus welchen Motiven heraus die Schülerin tatsächlich handelt (s. oben). Je nach Ergebnis kann die Lehrerin nach einer Kompromisslösung mit dem Mädchen selbst oder ihren Eltern (s. unten) suchen. Sollte die Schülerin trotzdem von ihrer Nicht-Teilnahme überzeugt sein, dann sollte die Lehrerin ihren Wunsch anerkennen und diesem nachkommen. In diesem Fall wird die Schülerin einer anderen Klasse zugewiesen und führt ihre Schulpflicht weiter aus (vgl. das Bayerische Schulgesetz, Durchführungshinweise zu Schülerfahrten, Präambel, 3.4): „Schülerinnen und Schüler, die in begründeten Ausnahmefällen an einer verpflichtenden Schülerfahrt nicht teilnehmen können oder an einer freiwilligen Schülerfahrt nicht teilnehmen, haben während deren Dauer den Unterricht in anderen Klassen oder Kursen oder sonstige Schulveranstaltungen der Schule zu besuchen.“
Schülerin 2
Der beste Weg führt hier über ein offenes, persönliches Gespräch mit den Eltern, in dem mögliche Ängste thematisiert und beseitigt werden könnten. Im Rahmen eines solchen Gesprächs kann die Lehrerin versuchen, den Eltern ihre Sichtweise bzw. die der Schule darzulegen, sich mit ihren Problemen und Wünschen offen auseinanderzusetzen und ihnen mögliche Konsequenzen für ihr Kind (zum Beispiel schlechtere Eingliederung in die Klassengemeinschaft) zu verdeutlichen. Wenn die Eltern befürchten, ihre Tochter würde auf Klassenfahrten schlecht beaufsichtigt werden, sollte die Lehrkraft auf die für alle Schülerinnen und Schüler geltenden Regeln auf einer Klassenfahrt hinweisen (kein Alkohol, keine Zigaretten, kein körperlicher Kontakt zwischen den Schülerinnen und Schülern). Übrigens steht in den Durchführungshinweisen zu Schülerfahrten des Bayerischen Schulgesetzes (Präambel, 3.5) „Bei gemischten Gruppen muss eine geschlechterspezifische Trennung von Schlafräumen, Waschräumen und Toiletten gewährleistet sein.“
Es gilt also, den Eltern zu verdeutlichen, dass die Verhaltensregeln auf Schulfahrten denen in der Schule entsprechen und auch zu betonen, dass vonseiten der Lehrkräfte alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten unternommen wird, um die Einhaltung dieser Regeln zu gewährleisten. Dabei sollten von der Lehrkraft Argumente gesammelt werden, die Verständnis gegenüber der Position der Eltern ausdrücken und ihnen zeigen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Manchen elterlichen Bedenken könnte mit Kompromisslösungen begegnet werden, beispielsweise könnte eine muslimische Lehrerin/Betreuerin mitfahren oder die Eltern dürfen am Abend ihre Tochter abholen. Des Weiteren ist es möglich, falls die Eltern aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ihrer Tochter Befürchtungen haben, dass einer der beiden Erziehungsberechtigten als Begleitung an der Klassenfahrt teilnimmt (vgl. Präambel 3.8): der Durchführungshinweise zu Schülerfahrten, Bayerisches Schulgesetz). Solche Kompromissvorschläge sind natürlich nicht unumstritten, möglicherweise könnten sie aber in der konkreten Situation im Interesse des Mädchens einen besseren Weg darstellen als eine „ganz-oder-gar-nicht“-Lösung.
Schließlich sei auf die Möglichkeit hingewiesen, andere muslimische Eltern, deren Kinder bzw. Töchter an Klassenfahrten teilnehmen durften, um Hilfe zu bitten, oder eine muslimische Lehrkraft mit den Eltern sprechen zu lassen bzw. zum gemeinsamen Gespräch dazu zu holen. Selbstverständlich kann allein die Zugehörigkeit zum Islam für die Eltern nicht automatisch eine Vertrauensbasis schaffen, es ist jedoch möglich, dass eine Person mit dem (formal) gleichen oder ähnlichen Hintergrund bei einigen Eltern eine Haltung der Offenheit befördern oder bestehende Ängste ausräumen kann.
Hilfreiche Informationsquellen/Anlaufstellen
Im Sinne einer allgemeinen Sensibilisierung für das Thema können von den Lehrkräften verschiedene Quellen genutzt werden, z.B.:
- Ufuq.de (http://www.ufuq.de/)
Ufuq.de ist ein bundesweiter Ansprechpartner für die pädagogische Praxis im Themenfeld Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus und beteiligt sich unter anderem an Forschungsprojekten, die sich mit den Lebenswelten von Muslimas und Muslimen in Deutschland beschäftigen. Neben einer umfangreichen Sammlung an Publikationen, (Unterrichts-)Materialien, Themeninterviews, Praxisberichten und Dossiers bietet Ufuq.de auch Beratungen und Fortbildungen für schulische Akteurinnen und Akteure an. - Informationen des Islamischen Zentrums München zu verschiedenen Aspekten des Islam: https://www.islamisches-zentrum-muenchen.de/islam/
Informationen, die auf der Seite des Islamischen Zentrums München zum Beispielzu Familie und zu der Frauenrolle im Islam zu finden sind, sind hilfreich, wenn sich Lehrerinnen und Lehrer zu allgemeinen Fragen bezüglich des Islams informieren wollen. Es ist jedoch zu betonen, dass die darin enthaltenen Deutungen und Ausführungen keinesfalls einer Allgemeingültigkeit für alle Muslimas und Muslime unterliegen. - „Meine Tochter wird nicht teilnehmen…!“ Eine Klassenfahrt mit Muslimen?! Kompetenzorientierte Unterrichtsplanung zum Thema „Islam“ in einer 8. Klasse: https://www.rpi-loccum.de/material/pelikan/pel3-09/sek1_tannen
Diese Unterrichtseinheit des religionspädagogischen Instituts Loccum befasst sich speziell mit dem Thema ‚Klassenfahrten mit muslimischen Schülerinnen‘ und kann als Informationsquelle für Lehrkräfte interessant sein. - „Muslimische Familien in Deutschland“ - Expertise des Deutschen Jugendinstituts: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/6_Expertise.pdf
Die bereits zitierte Expertise bietet ausführliche und differenzierte Informationen zu der Lebenssituation von muslimischen Familien in Deutschland und hilfreiche Hinweise zum konkreten Handeln unter anderem auch für Lehrerinnen und Lehrer. - (ehrenamtliche) Dolmetscherinnen/Dolmetscher: https://www.pi-muenchen.de/profil/wir-ueber-uns/fachbereiche/fachbereich-bildungsberatung/bereich-beratung-schule-beruf-weiterbildung/bildungsbrueckenbauen/
Dolmetscherinnen und Dolmetscher können Lehrkräfte bei Gesprächen mit nicht deutschsprechenden Eltern unterstützen.
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