Lehrstuhl für Schulpädagogik
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4.1 Warum interkulturelle Schulentwicklung?

  1. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
  2. Herausforderungen interkultureller Schulentwicklung

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Schulen sind als gesellschaftliche Bildungsinstitutionen vor die Herausforderung gestellt, allen Schüler/innen gleiche Teilhabe- und Teilnahmechancen am Bildungsprozess zu ermöglichen (vgl. Fereidooni, 2013, S. 2). Gerade angesichts der zunehmend kulturell und lebensweltlich ausdifferenzierten Schüler/innenschaft rückt dieses Ziel auch im Prozess der Schulentwicklung in den Vordergrund. Bildungspolitische Entscheidungen, wie bspw. die Erklärung der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Oktober 2013 erhöhen zusätzlich den normativen Druck auf Schulen. Die Erklärung hat die klare Aufgabe, „allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft umfassende Teilhabe an Bildung […] zu eröffnen, zur erfolgreichen Gestaltung von Integrationsprozessen und damit zu einem friedlichen, demokratischen Zusammenleben beizutragen“ (vgl. KMK, 2013, S. 2). Mit Blick auf die aktuellen Zahlen zum Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird die Aktualität dieser Aufgabe besonders deutlich:

In der schulrelevanten Altersgruppe der 6- bis unter 18-Jährigen wird der Anteil der jungen Menschen mit Migrationshintergrund von 2011 bis 2024 voraussichtlich von 28 % auf 36 % steigen (vgl. Bildungsbericht Bayern, 2015)

Gleichzeitig ist die „Schule als auf der kommunalen Ebene angesiedelte zentrale gesellschaftliche Institution […] in besonderem Maße von sozialen Problemlagen betroffen.“ (Burchard, 2008, S. 61). Die ungleichen Ressourcen, über die die Schüler/innen und ihre Familien verfügen, machen u.a. die Erweiterung schulischer und außerschulischer Förderangebote, die Stärkung der außerschulischen Kooperationen (z.B. mit städtischen Einrichtungen, gemeinnützigen Anbietern, Betrieben usw.), die Stärkung der Eltern-Schule-Kooperation sowie die Förderung der gegenseitigen Unterstützung in den Klassen notwendig. All diese Maßnahmen wirken sich wiederum auf die Ebene der Schulstrukturen aus.

2. Herausforderungen interkultureller Schulentwicklung

Je nachdem, aus welcher Perspektive man auf die Bereiche ‚Interkulturalität‘ und ‚Schulentwicklung‘ blickt, lassen sich auch unterschiedliche Herausforderungen interkultureller Schulentwicklung ermitteln. So lassen sich aus differenzorientierter Sicht (bspw. klassische interkulturelle Pädagogik) folgende zentrale Herausforderungen im interkulturellen Schulentwicklungsprozess ermitteln (im Folgenden zusammengefasst nach Kiel, 2016, S. 138f):

1. Das Spannungsfeld zwischen Einheit und Vielfalt

Interkulturelle Schulentwicklung bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen den Fragestellungen „Wie viel Einheit ist durchzusetzen?“ und „Wie viel Vielfalt ist zuzulassen?“ Einerseits ist Schule auf ein gewisses Maß an Einheitlichkeit angewiesen, um effektiv zu funktionieren. Andererseits sind mit der Orientierung der Schule an Homogenität oftmals assimilative Botschaften verbunden, die negativen Einfluss auf die Identitätsbildung der Schüler/innen haben können.

2. Das Befremden und Fremdsein

Die (wahrgenommene) Fremdheit kann u.U. ein Gefühl von Befremden hervorrufen. Wenn bspw. Schüler/innen ihre Familiensprachen in der Schule sprechen, fühlen sich die Lehrkräfte oft unsicher, da sie nicht wissen, ob evtl. über sie, über die Schule, über die anderen gesprochen wird – und vor allen auch, was gesagt wird.

3. Die Begegnung mit dem Fremden als systematisches Problem

Der Kontakt mit dem Fremden beschränkt sich nicht auf die Interaktion auf zwischenmenschlicher Ebene. Vielmehr zieht er sich durch alle Schichten und Ebenen gesellschaftlichen Lebens durch. Umgang mit Interkulturalität stellt dementsprechend auch eine systemische Herausforderung für die Institution Schule dar.

4. Die Benachteiligung und Diskriminierung im Schulsystem

Personen mit Migrationshintergrund sind oft Benachteiligungen ausgesetzt, die (inter-)subjektive, aber auch institutionelle und strukturelle Ursachen haben können.

Aus kulturalisierungskritischer Sicht werden andere Herausforderungen für die interkulturelle Schulentwicklung genannt. So wird u.a. darauf hingewiesen, dass interkulturelle Schulentwicklung, die sich vordergründig an Kategorien ‚eigen‘ und ‚fremd‘ orientiert, Gefahr läuft, „unter der Oberfläche der im Sprachduktus der Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt formulierten Intentionen pädagogischer Maßnahmen gegenteilige Wirkungen zu erzielen, nämlich einer Fortführung der Differenzsetzung entlang der Dimension der Kultur verstanden als Nationalkultur und damit der (Re-)Produktion von gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen, in denen die anderen als ‚Migrationsandere‘ geschaffen und auf die Position der Nicht-Zugehörigkeit festgelegt werden.“ (Rotter, 2013, S. 162). Die Entwicklung von Schulstrukturen und -abläufen, die mit Diversität anerkennend umgeht und gleichzeitig die o.g. Problematiken berücksichtigt, stellt die zentrale Herausforderung einer Schulentwicklung in der Migrationsgesellschaft dar. Daraus ergeben sich folgende Implikationen für die Praxis interkultureller Schulentwicklung (im Folgenden zusammengefasst nach Rotter, 2013, S. 163):

  1. Auf der Ebene der Unterrichtsentwicklung geht es darum, interkulturelle Bildung nicht lediglich als Vermittlung landeskundlichen Wissens zu verstehen. Es ist wichtig, Schüler/innen Raum zu geben, ihre eigenen Zugehörigkeiten und Positionierungen jenseits kultureller und religiöser Zuschreibungen einzubringen bzw. zu reflektieren.
  2. Auf der Ebene der Personalentwicklung geht es darum, Fortbildungen für Lehrkräfte zur Gestaltung eines Unterrichtsangebots zu ermöglichen, das den Ansprüchen einer oben beschriebenen Unterrichtsentwicklung entspricht.
  3. Auf der Ebene der Gesamtinstitution Schule geht es darum, den Kontext des schulischen und pädagogischen Handelns (selbst-)reflexiv zu betrachten sowie die damit verbundenen Möglichkeiten, Grenzen und Effekte (v.a. mit Blick auf eventuelle Ausgrenzungs- und Diskriminierungsgefahren) zu berücksichtigen.
⬅️ 4. Schulstrukturen optimieren 4.2 Ebenen der interkulturellen Schulentwicklung ➡️