Lehrstuhl für Schulpädagogik
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2.1 (Sprach-)barrieren in der Diskussion

  1. Stichwort "Sprachbarriere"
  2. Strukturelle Barrieren

1. Stichwort "Sprachbarriere"

Mit dem Begriff "Sprachbarriere" wird üblicherweise auf Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Träger/innen einer anderen Sprache hingewiesen. Im schulischen Bereich wird der Begriff "Sprachbarriere" vor allem im Kontext der zunehmenden sprachlich-kulturellen Ausdifferenzierung der Schüler/innenschaft verwendet. Es wird darauf hingewiesen, dass Kinder mit Migrationshintergrund erhebliche Defizite hinsichtlich der Deutschkompetenz aufweisen.

"Insgesamt ist der Sprachstand von Migrantenkindern als problematisch zu beurteilen. Bei Sprachstandserhebungen im Vorschulalter zeigten sich Defizite bei mündlichen Sprachfertigkeiten wie Sprachverstehen und Wortschatz. Unter den förderungsbedürftigen Kindern hat die Mehrzahl einen Migrationshintergrund und unter den Kindern mit Migrationshintergrund hat ein relativ hoher Anteil einen Förderbedarf." (Haug, 2008, S. 6)

Ist Ihnen aufgefallen, dass im o.g. Zitat immer allgemein vom "SPRACHstand", den "SPRACHfertigkeiten", dem "SPRACHverstehen" die Rede ist, obwohl eigentlich nur die deutsche Sprache gemeint ist?

Wenn Kinder Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, aber z.B. die jeweilige Herkunftssprache ihrer Familie gut beherrschen, wäre es auf jeden Fall sinnvoller, nicht allgemein von den Sprachdefiziten, sondern  eben von geringen Deutschkenntnissen zu sprechen. Die Gleichsetzung von Deutschkenntnissen und allgemeiner Sprachkompetenz ist irreführend.

Der aktuelle Bildungsbericht (2016) nimmt Abstand vom generalisierenden Verweisen auf Sprachdefizite, offenbart jedoch gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund, die vor dem Eintritt in die Schule stehen, einen erheblichen Deutsch-Förderbedarf. So wird anhand der Daten aus dem Bildungsbericht 2014 gezeigt, dass Kinder mit nicht deutscher Familiensprache im Alter von fünf Jahren im Vergleich mit Kindern mit deutscher Familiensprache geringere Deutschkompetenzen aufweisen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Generationszugehörigkeit: Fünfjährige der ersten und zweiten Generation mit Migrationshintergrund demonstrieren geringere lexikalische Kompetenzen im Deutschen als Kinder der dritten Migrationsgeneration bzw. Kinder ohne Migrationshintergrund. Noch deutlicher ist der Zusammenhang mit dem Bildungsstand der Eltern ausgeprägt: Je geringer die Bildungsabschlüsse der Eltern sind, desto geringer sind die Deutschkompetenzen der Kinder (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016, S. 172). Das gilt übrigens auch für Kinder ohne Migrationshintergrund.

Festzuhalten bleibt: Empirische Daten verweisen deutlich auf einen ungünstigen Zusammenhang zwischen der Sozialisierung der Kinder in einer anderen Sprache als Deutsch und den festgestellten mangelnden Deutschkompetenzen der Kinder. Deshalb wird die Beherrschung der deutschen Sprache oft als "entscheidend für den Schulerfolg" charakterisiert (Haug, 2008, S. 21). Wenn man bedenkt, dass geringe Deutschkompetenzen für die Schüler/innen neben dem fehlenden schulischen Erfolg auch eine eingeschränkte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bedeuten, so wird klar, warum die Förderung von Deutschkompetenzen als eine zentrale Aufgabe des Bildungssystems im Allgemeinen und des Deutschunterrichts im Speziellen angesehen wird.

Quellen

2. Strukturelle Barrieren

Wenn von ‚Sprachbarrieren‘ im Sinne der obigen Definition gesprochen wird, werden Deutschkenntnisse oft als Garant für einen erfolgreichen Schul- und Bildungsweg dargestellt:

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Beispiel: Deutsch als Schlüssel zum Schulerfolg, vgl. Kerstan/Kammertöns 2011

Das ist, wie oben bereits gezeigt wurde, an sich nicht ‚falsch', führt jedoch häufig zur Herstellung einer einseitigen Verknüpfung zwischen Deutschkompetenzen und guten schulischen Leistungen. Tatsächlich ist die Realität alles andere als eindeutig, und nicht allein die Kompetenzen in der deutschen (Bildungs-)sprache entscheiden über den Bildungsverlauf.

So hat es sich in der kritischen Interpretation der PISA-Ergebnisse gezeigt, dass auch der soziale Hintergrund der Familie einen entscheidenden Einfluss auf die schulische Leistung der Kinder mit und ohne Migrationshintergrund hat (vgl. Burchard, 2016). Der Benachteiligungseffekt, welcher durch migrationsspezifische bzw. herkunftssprachliche Unterschiede hervorgerufen wird, ist im Vergleich zum sozioökonomischen Faktor wirklich gering:

"Zwar besuchen Kinder mit hohem sozio-ökonomischem Status und ‚ohne Migrationshintergrund' (61 %) häufiger das Gymnasium als Kinder mit dem gleichen sozioökonomischen Status ‚mit Migrationshintergrund' (50 %), aber dieser Unterschied von elf Prozentpunkten ist deutlich geringer als der zwischen niedrigem und hohem sozioökonomischem Status: bei Kindern ‚ohne Migrationshintergrund' beläuft sich hier der Unterschied auf 48 Prozentpunkte, bei Kindern ‚mit Migrationshintergrund' auf 39 Prozentpunkte." (Scarvaglieri & Zech, 2013, S. 221)

Der Bildungsbericht 2016 spricht in diesem Kontext von so genannten "nachteiligen Lernumwelten": An Schulen erfolgt eine Segregation der Kinder nach Leistungsniveau sowie nach Bildungshintergrund/ dem sozioökonomischen Status der Familie, was dazu führt, dass 16% der Kinder mit Migrationshintergrund und 5% der Kinder ohne Migrationshintergrund in Klassen kommen, in denen die Mehrheit der Kinder nur unzureichende Deutschkompetenzen aufweist (wodurch wiederum der Fortschritt in weiteren schulischen Fächern erheblich verhindert wird) (vgl. Morris-Lange et al., 2013, S. 20f., zit. n. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016, S. 173). Solche Lernumgebungen verstärken die bereits bei der Einschulung vorhandenen Nachteile der Kinder und erschweren ihnen die Chancen auf einen zukünftigen Bildungsaufstieg. Somit befinden sich die betroffenen Schüler/innen sozusagen in einem ‚Teufelskreis'.

Es ist also wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass nicht allein die ‚fehlenden Deutschkenntnisse', sondern maßgeblich auch die soziale Ungleichheit bzw. die Segregationseffekte des deutschen Bildungssystems für die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund verantwortlich sind. Die Bewältigung von sozioökonomischen Benachteiligungseffekten stellt eine der wichtigsten Herausforderungen auf politischer Ebene dar.

Quellen

⬅️ 2. Sprachlicher Vielfalt begegnen 2.2 Deutsch als Zweitsprache ➡️