Lehrstuhl für Schulpädagogik
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3.4 Exkurs: Intersektionelle Diskriminierung

Was ist Intersektionalität?

Der Begriff Intersektionalität leitet sich vom englischen Begriff intersectionality ab, der erst-mals von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw gebraucht wurde. Intersectionality beinhaltet das Wort 'intersection', das mit 'Straßenkreuzung' übersetzt werden kann.

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Bild Pixabay: https://pixabay.com/de/gro%C3%9Fstadt-luftbild-geb%C3%A4ude-schnee-1245826

Crenshaw nutzte diese Metapher erstmals in den 1990er Jahren in Verbindung mit Gerichtsfällen, in denen Schwarze Frauen gleichzeitig wegen ihrer ‚Rasse‘ bzw. Hautfarbe und ihres Geschlechts diskriminiert wurden (vgl. Winker & Degele, 2009, S. 12) Eine Kreuzung kann von vielen verschiedenen Seiten angefahren werden, und wenn auf der Kreuzung ein Unfall passiert, kann dieser durch aus einer Richtung kommende Autos verursacht werden, oder aber auch durch Au¬tos aus verschiedenen Richtungen. Auf die Fälle bezogen wollte Crenshaw damit aussagen, dass die Frauen nicht nur entweder wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden, sondern es sich vielmehr um ein Zusammenspiel der beiden sozial konstruierten Diversitätsdimensio¬nen han¬delte und sie als Schwarze Frauen benachteiligt wurden (vgl. ebd.).

Während sich der Intersektionalitätsbegriff zu Beginn vornehmlich auf Schwarze Frauen bezogen hat (vgl. Winker & Degele, 2009, S. 12), besteht mittlerweile keine Einigkeit mehr darüber, welche Differenzkategorien einbezogen werden sollten bzw. wie viele es sein können (vgl. ebd., S. 16 und Yuval-Davis, 2010, S. 188): „Während in den USA die Trias von race, class, gender unhinterfragt zentral sei, gibt es in Europa heftige Diskussionen zur Auswahl der Kategorien.“ (Winker & Degele, 2009, S. 14).

Wichtig für die Definition des Intersektionalitätsbegriffs ist, dass dieser auf Verbindungen und Überschneidungen sowie auf die gleichzeitig erfolgenden Wirkungen verschiedener (freiwilliger und unfreiwilliger) sozialer Positionierungen aufmerksam machen will (vgl. Leiprecht, 2017, S. 53). Demensprechend grenzt sich der Begriff intersektioneller Diskriminierung von dem oft gebräuchlichen Begriff der Doppeldiskriminierung bzw. doppelten Benachteiligung ab: So wird bspw. ein türkisches Mädchen oft „nicht als Türkin plus als Mädchen diskriminiert, sondern als türkisches Mädchen“ (Walgenbach, 2017, S. 64) – die Kategorien Nationalität/‘Ethnie‘ und Geschlecht bzw. Gender spielen hier also zusammen.

Warum wäre es für Pädagog/innen wichtig, das Thema Intersektionalität im Schulalltag zu beachten?

Für Pädagog/innen hat das Thema Intersektionalität eine doppelte Relevanz. Eine Ebene betrachtet unmittelbar das Verhältnis von Lehrkräften und Schüler/innen und bezieht sich auf die Fähigkeit der Lehrkräfte, die Wechselseitigkeit und Beziehung von verschiedenen Diskriminierungsachsen zu erkennen, um bspw. bei der Ermittlung von Problemursachen die Vielschichtigkeit von Problemen präsent zu behalten. Walgenbach (2017) führt diesbezüglich das Beispiel von Homophobie an einer Berliner Hauptschule an und resümiert, dass die Ursachen für die durch ‚türkische‘ Schüler geäußerte Homophobie nicht monokausal auf ihre ‚Herkunftskultur‘ zurückgeführt werden sollten. Vielmehr sei zu beachten, dass derartige beleidigende Ausdrucksweisen bspw. auch der „Durchsetzung männlicher Dominanzansprüche“ (Kategorie: Geschlecht/Gender) dienen, eine „Oppositionsstrategie gegen die Institution Schule“ (Kategorie: Status) darstellen und als „Machtressource gegenüber weiblichen und männlichen Mitschülern“ (Kategorie: soziale Anerkennung) genutzt werden können (Walgenbach, 2017, S. 82f.).

Auf der allgemeineren Ebene ist mit einer intersektionalen Perspektive der Anspruch verbunden, „der Komplexität der Lebenswirklichkeiten von Menschen gerecht zu werden“ (Busche & Stuwe, 2012). Pädagog/innen sollten folglich in der Lage sein, „Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse auf unterschiedlichen Handlungsebenen der Akteure zu erkennen und jeweils differenzierte Handlungsstrategien dazu entwickeln zu können“ (ebd.). Das bedeutet natürlich auch, individuelle Selbstkonzepte in den Fokus der eigenen Betrachtung zu ziehen.

Wie kann Intersektionalität im Unterricht thematisiert werden?

Die Thematisierung von Intersektionalität würde sich im Rahmen einer Unterrichtsstunde zum Thema Rassismus anbieten. Mit Blick auf aktuelle Ereignisse wäre es bspw. denkbar, die Vorgehensweise bei und die Folgen von der polizeilichen Untersuchung der so genannten NSU-Morde auf die Rolle intersektioneller Verschränkungen hin zu untersuchen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Thematik mit dem laufenden Verfahren gegen Beate Zschäpe immer noch aktuell ist, bekommt der Aspekt Gegenwartsbezug.

Die Vorgehensweise der Beamt/innen im Zuge der (ersten) Ermittlungen macht deutlich, dass bei der Einschätzung der Ursachen offenbar das Zusammenspiel von marginalisierten Zugehörigkeiten aufseiten der Opfer für die Bestimmung der Verdächtigen ausschlaggebend war. Die Hinterbliebenen, zum Teil sogar die Opfer wurden im Zuge der Ermittlungen selbst der Taten verdächtigt: „Aufgrund des Geschlechts (männlich), des sozialen Milieus (vornehmlich Arbeitermilieu und Kleinunternehmer) und der ethnischen Herkunft der Opfer (türkei- beziehungsweise griechischstämmig) wurden unter Rückgriff auf die tief sitzenden Stereotype Erklärungen gefunden, welche augenscheinlich ‚auf der Hand lagen‘ und die Gewalt erklären sollten.“ (Adusei-Poku & Shooman, 2012, S. 51). Motive wie Fremdenhass und Rassismus wurden hingegen kaum bzw. viel zu spät in Betracht gezogen.

Weiterführende Quellen zu Intersektionalität

Literatur

  • Adusei-Poku, N. & Shooman, Y. (2012). Mehrdimensionale Diskriminierung. Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), 62 (16/17), 47–57.
  • Busche, M. & Stuve, O. (2012). Intersektionalität und Gewaltprävention. Verfügbar unter http://portal-intersektionalitaet.de/uploads/media/Busche_Stuve_01.pdf [22.03.2017].
  • Winker, G. & Degele, N. (2009). Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript Verlag.
  • Leiprecht, R. (2017). Diversität und Intersektionalität. In A. Polat (Hrsg.), Migration und Soziale Arbeit. Wissen, Haltung, Handlung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
  • Walgenbach, K. (2017). Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.
  • Yuval-Davis, N. (2010). Jenseits der Dichotomie von Anerkennung und Umverteilung. Intersektionalität und soziale Schichtung. In H. Lutz, M. Herrera Vivar & L. Supik (Hrsg.), Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes (S. 185–201). Wiesbaden: VS Verlag.
⬅️ 3.3 Aufgabenorientierte diversitätssensible Unterrichtsentwicklung Fall 1: Irritierende Fragen ➡️