Fall 1.3 Impulse zur Falllösung: Handlungsoptionen
Welche Schritte könnte sich die Schule überlegen, um eine gemeinsame Linie im Umgang mit ähnlichen Situationen zu entwickeln? Was ist dabei zu beachten? Welche Fragen, Schwierigkeiten, Widersprüche etc. können sich ergeben? Beziehen Sie die Ergebnisse Ihrer Interpretation in Ihre Überlegungen mit ein.
Diskussion der Handlungsoptionen
Generell heißt es im Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) (2013): „Die Schulen sind gefordert, pädagogische Handlungskonzepte für den Umgang mit Vielfalt zu entwickeln und umzusetzen. Das gemeinsame Lernen in allen Fächern ist eine zentrale Voraussetzung für interkulturelle Lernprozesse“. Aufgrund der fachübergreifenden Problematik ist es in diesem konkreten Fall erst einmal wichtig, dass, wie in der Situation bereits beschrieben, das Kollegium über Handlungsoptionen diskutiert. Werden weitere schulischen Akteurinnen und Akteure, wie beispielsweise Mitglieder des Elternbeirates oder der Klassenvertretungen, einbezogen, ergibt sich ein noch größerer Handlungsspielraum, in dem konsensfähige, gemeinsame Entscheidungen getroffen werden können. Dies verringert wiederum den Druck auf die einzelne Lehrkraft, Lösungen finden und präsentieren zu müssen.
Leitbildentwicklung
Ein erster Schritt könnte die Erstellung eines Leitbildes an der Schule sein, in dem die Überzeugungen und Haltungen der schulischen Akteurinnen und Akteure fest verankert sind. Wichtig sind dabei unter anderem Fragen dazu, welches Menschenbild dem Leitbild der Schule zugrunde liegt, in welcher Form die Unterrichtsinhalte und außerunterrichtliche Angebote auf die vorhandene religiöse Diversität der Schülerinnen und Schüler eingehen, inwiefern die Positionen weiterer Mitglieder der Schulfamilie und der Kooperationspartnerinnen und -partner berücksichtigt werden etc.
Wissensvermittlung im Fachunterricht
Umfassende Kenntnisse über verschiedene Weltzugänge und Erkenntnisweisen bedürfen einer spezifischen und zunächst voneinander getrennten Betrachtung. Diesbezüglich ist es Aufgabe des Religions- oder Ethikunterrichts (für die Schöpfungsgeschichte) sowie des Biologieunterrichts (Evolutionstheorie), aufseiten der Schülerschaft für genügend Sachkenntnisse bezüglich der jeweiligen Themen zu sorgen, um verschiedene Positionen aufeinander beziehen zu können und ihre jeweiligen Eigenbedeutungen zur Geltung zu bringen.
Die „Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD, 2008) stellt didaktische Prinzipien für die schulische Behandlung von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie bereit (S. 21-22):
- Da Weltbilder und Weltzugänge nicht erst im Unterricht entstehen, sollen in der Didaktik der Naturwissenschaften wie in der Religionsdidaktik sogenannte Alltagstheorien oder entwicklungsbedingte Verstehens- und Deutungsweisen zunehmend Beachtung finden. Auch im Blick auf Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie sollten die Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen einen konstitutiven Ausgangspunkt für Lehren und Lernen bilden.
- Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge voraus. Es ist deshalb eine besonders wichtige didaktische Aufgabe, Kinder und Jugendliche mit der Eigenart unterschiedlicher Weltzugänge und Deutungen von Mensch und Wirklichkeit bekannt zu machen sowie zu klären, nach welchen Prinzipien wissenschaftliches Erkennen erfolgt. Als besonders klärungsbedürftig müssen dabei häufig von populären Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerlegung“ (Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten. Darüber hinaus sollten die unterschiedlichen Zuordnungsmodelle für unterschiedliche Weltzugänge, insbesondere im Sinne eines komplementären Denkens, eingeführt werden.
- Weiterführende Klärungen lassen sich nur erzielen, wenn beide, Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, nicht von ihren problematischen Verzerrungen, sondern von einem ihnen jeweils angemessenen differenzierten Verständnis heraufgenommen werden. Der Bezug auf den Ultradarwinismus oder auf den Sozialdarwinismus eignet sich dazu ebenso wenig wie der auf den Kreationismus, so wichtig die kritische Auseinandersetzung mit ihnen im Übrigen ist. Ähnlich verhindert eine Einführung der Evolutionstheorie als wissenschaftliche Kritik am Schöpfungsglauben oder gar als Ersatz für diesen von vornherein ein sachliches Verständnis der Eigenart beider Weltzugänge in ihrer Unterschiedenheit. Nicht nur die Evolutionstheorie, sondern auch der Schöpfungsglaube müssen unter sorgfältiger Berücksichtigung ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Klärung thematisiert werden.
- Die Auseinandersetzung mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie vollzieht sich für Kinder und Jugendliche nicht unabhängig von den kulturellen Zusammenhängen, in denen sie aufwachsen. In religiöser Sicht problematisch sind vor allem die in den Medien weit verbreiteten populär- oder pseudowissenschaftlichen Darstellungen, die aus der Evolutionstheorie eine Weltanschauung machen, welche den Glauben überflüssig werden lasse. Der Unterricht sollte sich auch mit solchen Verzerrungen der Evolutionstheorie kritisch befassen.
Weitere relevante Quellen zum Thema Unterricht:
- Ausführliche Unterrichtseinheit zum Thema Schöpfungsgeschichte und Evolution (insgesamt 5 Unterrichtsstunden für die Jahrgangsstufe 11) von Dominik Rzepka:
https://www.lehrer-online.de/unterricht/sekundarstufen/geisteswissenschaften/religion-ethik/unterrichtseinheit/ue/evolution-oder-schoepfung-woran-koennen-wir-glauben/ - Evolution oder Schöpfung - Zum Einsatz für den Schulunterricht, mit Hörbeitrag:
http://www.br.de/radio/bayern2/wissen/radiowissen/ethik-und-philosophie/evolution-schoepfung-einsatz-im-unterricht100.html - Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung:
http://www.bpb.de/apuz/239251/herausforderung-religioese-vielfalt?p=all
Fächerverbindender Unterricht
In Anbetracht der Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie und vor allem deren Verhältnis zueinander eine komplizierte Thematik ist, erscheint für diesen Unterrichtsgegenstand fächerverbindender Unterricht sinnvoll. Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlicher Disziplinen können ihr Wissen einbringen und sich gegenseitig ergänzen. Dadurch kann eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Weltanschauungen gewährleistet werden.
Außerschulische Partnerinnen und Partner und Fortbildungsangebote
Wichtige Kooperationspartnerinnen und -partner der Schulen sind unter anderem Kultur- und Bildungsträger in der Region, die außerschulische Lernangebote zur Verfügung stellen. Hierzu gehören Vereine, religiöse und andere gesellschaftliche Organisationen und Migrantenorganisationen. Es lohnt sich, sich darüber zu informieren, ob solche Organisationen zu der im Fall angesprochenen Thematik geeignete Angebote machen können. Wichtige Partnerinnen und Partner sind außerdem Hochschulen, insbesondere lehrerbildende Institutionen, die mit ihrer Expertise die Schulen bei Vorhaben der interkulturellen Schulentwicklung und deren Evaluation unterstützen können (mehr zu den Partnerinnen und Partnern der Schulen vgl. KMK, 1996/2013).
Elterngespräche
Eine der Aufgaben von Schule ist es, eine „Kultur der Wertschätzung und Anerkennung, der Teilhabe und Mitwirkung gegenüber Eltern“ (KMK, 1996/2013) zu entwickeln, die auch die sprachliche und kulturelle Heterogenität der Eltern berücksichtigt. Da das Elternhaus das Werteverständnis der Schülerinnen und Schüler stark beeinflusst, sollte diese Problematik gemeinsam mit den Eltern diskutiert werden, beispielsweise im Rahmen von Elternabenden oder einer themenbezogenen Veranstaltung. Zum einen können die Lehrerinnen und Lehrer in diesen Kontexten auf den fachlichen Hintergrund und dessen Berechtigung eingehen. Hierzu können sich die Lehrkräfte auf Fachlehrpläne und das Bildungs- und Erziehungsziel der deutschen Schulen berufen, um die Diskussion von der persönlichen Werteebene abzukoppeln. Wichtig ist allerdings, dass Lehrpläne und Bildungsvorgaben keine ‚neutrale‘ Basis für die Diskussion bilden, denn auch diese haben sich unter bestimmten (historischen) Umständen entwickelt und sind bestimmten Werten verpflichtet. Dennoch ist die Verpflichtung der Schulen in Deutschland herauszustellen, die unter anderem darin besteht, Kindern und Jugendlichen unterschiedliche Weltzugänge zu offenbaren und ihnen deren jeweiligen Eigenarten bewusst zu machen. Dies schließt unter anderem die unterschiedlichen Zugänge zur Entstehung der Welt mit ein.
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