Lehrstuhl für Schulpädagogik
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Fall 1: Irritierende Fragen

Während des Unterrichts wird der Mathematiklehrer, Herr H., plötzlich von der Frage einer muslimischen Schülerin überrascht, wie das eigentlich zu verstehen sei, dass der Mensch vom Affen abstammt. Auf Herrn H.s Nachfrage erklärte die Schülerin, dass sie vorher im PCB (Physik – Chemie – Biologie)-Unterricht war, in dem das Thema Evolution besprochen wurde. Sie fand das Konzept der Evolution und vor allem die Behauptung, der Mensch würde vom Affen abstammen, vollkommen irritierend. Eine Mitschülerin pflichtete ihr bei. Die anderen Schülerinnen und Schüler schienen an dieser Frage eher nicht interessiert zu sein.

Herr H. war über die Frage sehr erstaunt. Als er sich mit anderen Lehrerinnen und Lehrern darüber austauschte, erfuhr er, dass auch seine Kolleginnen und Kollegen ähnliche Situationen erleben. So hat beispielsweise ein Jugendlicher aus einer Zeugen Jehovas-Familie einer Lehrerin ein Buch geschenkt, damit sie erfährt, "wie es wirklich war". Die Eltern einer anderen Schülerin sind Kreationisten und wollten ihre Tochter vom Biologieunterricht befreien lassen, da sie den Glauben ihrer Tochter in Gefahr sahen. Da die Schule bisher keine einheitliche Politik bezüglich solcher Fälle verfolgt, wollen sich die Lehrkräfte nun auf ein gemeinsames Vorgehen in ähnlichen Fällen einigen.

Analysefragen

Perspektivische Interpretation

  1. Analysieren Sie die Situation aus der Perspektive des Lehrers: Weshalb ist Herr H. über die Frage der Schülerin so überrascht?
  2. Beziehen Sie nun die Perspektive der beiden Schülerinnen in Ihre Überlegungen mit ein: Was empfinden die Schülerinnen als Problem und warum? Denken Sie an Wissensbestände, Haltungen bzw. Werteeinstellungen, die dabei eine Rolle spielen können.
  3. Beziehen Sie die Perspektive der Lehrerkolleginnen und -kollegen mit ein: Welche Aufschlüsse gibt die Fallbeschreibung über die Wahrnehmung der Situation durch andere Lehrerinnen und Lehrer?

Mehrebenen-Interpretation

Versuchen Sie nun, die Situation über die individuelle Ebene hinaus zu interpretieren und dabei folgende Ebenen zu berücksichtigen:

  1. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Welche Rolle spielen bestehende (mehrheits-) gesellschaftliche Faktoren möglicherweise bei der Entstehung der Situation?
  2. Institutionelle Rahmenbedingungen: Inwiefern haben schul- und bildungssystembezogene Faktoren sowie bestehende institutionelle Abläufe möglicherweise Einfluss auf die Situation?

Handlungsoptionen

  1. Welche Schritte könnte sich die Schule überlegen, um eine gemeinsame Linie im Umgang mit ähnlichen Situationen zu entwickeln? Was ist dabei zu beachten? Welche Fragen, Schwierigkeiten, Widersprüche etc. können sich ergeben? Beziehen Sie die Ergebnisse Ihrer Interpretation in Ihre Überlegungen mit ein.
⬅️ 3.4 Exkurs: Intersektionelle Diskriminierung Fall 1.1 Impulse zur Falllösung: Perspektivische Interpretation ➡️