Lehrstuhl für Schulpädagogik
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Fall 1.1 Impulse zur Falllösung: Perspektivische Interpretation

  1. Fragestellung 1
  2. Fragestellung 2
  3. Fragestellung 3

Fragestellung 1

Analysieren Sie die Situation aus der Perspektive der Lehrerin: Was empfindet die Lehrerin als Problem und warum? Welche Herausforderungen ergeben sich für die Lehrkraft in der beschriebenen Situation?

Fragestellung 2

Beziehen Sie nun die Perspektive der Eltern in Ihre Überlegungen mit ein: Was könnten Gründe für die Gewalt in der Erziehung in der Familie sein?

Offenbar ist den Eltern der schulische Erfolg ihrer Tochter sehr wichtig. Dabei ist es durchaus möglich, dass die Eltern nicht aus übertriebenem Ehrgeiz handeln, sondern meinen, im Interesse des Kindes zu handeln: Je besser die Noten sind, desto größere Aufstiegschancen wird ihre Tochter im künftigen Berufsleben haben – das könnte eine Annahme der Eltern sein. Deshalb setzen sie strikte Vorgaben und sanktionieren rigoros deren Nichteinhaltung. Schneewind (2007) spricht in diesem Zusammenhang von dem Erziehungskonzept „Grenzen ohne Freiheit“, welcher kultur- und milieuübergreifend anzutreffen ist.

Die Situation zeigt außerdem, dass die Eltern offenbar eine starre Denkweise in Bezug auf die Schulleistungen (gute Noten = gut) und mangelndes Einfühlungsvermögen gegenüber ihrer Tochter an den Tag legen. Möglicherweise haben sie selbst ähnliche Erziehungsweisen in ihren Familien erlebt und können alternative Erziehungsstile nur schwer anerkennen, da sie diese selbst nie kennengelernt haben.

Fragestellung 3

Analysieren Sie die Situation aus der Perspektive der Schülerin: Was wäre im Hinblick auf die Position der betroffenen Schülerin wichtig zu beachten?

Die Schülerin befindet sich in einer besonders schwierigen, möglicherweise sehr ambivalenten, Situation. Sie steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Eltern, welches nicht nur durch die formale familiäre Struktur, sondern auch durch eine liebevolle Beziehung bedingt sein kann – auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so wirkt. Auch in Familien, in denen Gewalt als Erziehungsmaßnahme üblich ist, erfahren Kinder und Jugendliche Liebe und Zuneigung, werden gelobt, wenn sie elterlichen Erwartungen entsprechen etc. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche, die bemüht sind, den Erwartungen ihrer Eltern gerecht zu werden, sehr oft sich selbst schuldig fühlen, wenn sie daran ‚scheitern‘. Deshalb brauchen von Familiengewalt betroffene Kinder und Jugendliche unbedingt psychologische Hilfe, da sie eine solche Situation (double-bind) alleine nicht bewältigen können.

Und dennoch dürfen Kinder und Jugendliche in Situationen häuslicher Gewalt nicht allein auf ihre Opfer-Position reduziert werden. Auch sie haben Möglichkeiten, sich elterlicher Gewalt zu widersetzen – sei es durch einen aktiven Widerstand innerhalb der Familie oder durch die Einbeziehung von Verwandten, Nachbarinnen und Nachbarn, Lehrkräften und weiteren Vertrauenspersonen. Leider trauen sich Kinder und Jugendliche, die in der Familie Gewalt erfahren, oft nicht, um Hilfe zu bitten – weil sie sich schämen, nicht an wirklich Unterstützung glauben oder Angst vor einer Trennung von den Eltern haben. Deshalb sind (präventive) Aufklärungsmaßnahmen in der Schule enorm wichtig.

⬅️ Fall 1: Häusliche Gewalt Fall 1.2 Impulse zur Falllösung: Mehrebenen-Interpretation ➡️