Lehrstuhl für Schulpädagogik
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Fall 2.1 Impulse zur Falllösung: Perspektivische Interpretation

  1. Fragestellung 1
  2. Fragestellung 2
  3. Fragestellung 3
  4. Fragestellung 4

Fragestellung 1

Analysieren Sie die Situation aus der Perspektive der Lehrerin: Was empfindet die Lehrerin als Problem und warum? Welche bedeutenden Fragen stellen sich evtl. für die Lehrkraft in der beschriebenen Situation?

Fragestellung 2

b) Beziehen Sie nun die Perspektive der Eltern in Ihre Überlegungen mit ein: Was könnten Gründe für die beschriebene Reaktion der Eltern sein?

Das beschriebene Verhalten der Eltern in der Situation könnte darauf hindeuten, dass sich die Eltern eventuell von der Lehrkraft bevormundet fühlen (bzw. haben sie möglicherweise das Gefühl, von der Lehrkraft vorschnell verurteilt worden zu sein). Da wir nicht genau wissen, wie das Gespräch abgelaufen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich bestimmte Fragen oder Aussagen der Lehrerin im Gespräch mit den Eltern leicht vorwurfsvoll und abschätzig angehört haben (könnten) – gerade weil die Lehrkraft, wie oben angemerkt, die Ursachen für die Situation einseitig in dem kulturellen Hintergrund der Eltern sucht. Der Vorwurf der Eltern an Frau G., das Mobbing ihrer Kinder käme durch eine mangelnde Kontrolle der Lehrerin über die Klasse zustande, könnte in dieser Situation als Ausdruck einer Abwehrhaltung der Eltern bzw. als eine Reaktion auf bestimmte als ungerechtfertigt empfundene Aussagen der Lehrkraft interpretiert werden. Die Sichtweise der Eltern darf jedoch nicht als bloßes ‚Ablenkmanöver‘ gedeutet werden, denn tatsächlich ist es die Aufgabe der Lehrkraft (unabhängig von der Mitwirkung der Eltern), Mobbing in der Klasse zu verhindern bzw. zu beenden. Es fragt sich in diesem konkreten Fall, ob bzw. inwiefern Frau G. auf die Mobbingsituation in der Klasse eingeht und das Beschimpfen und Beleidigen der betroffenen Kinder durch ihre Mitschüler/innen unterbindet.

Was könnten Gründe für die Vernachlässigung der beiden Kinder durch ihre Eltern sein?

Geht man davon aus, dass die Sichtweise der Lehrkraft zutrifft und die beiden Kinder von ihren Eltern vernachlässigt sind, so können – und sollten – mehrere Gründe für die Situation in Betracht gezogen werden. Auf jeden Fall wäre es wichtig, den Vorwurf des fehlenden Interesses an dem Wohlbefinden der Kinder oder einseitige Zuschreibungen an (National-)kultur der Eltern nicht einfach von Vornherein zu äußern, sondern weitere mögliche Gründe bei der Analyse der Situation mitzuberücksichtigen:

  • Überforderung der Eltern mit ihrer Lebenssituation/traumatisierende Lebensereignisse; finanzielle, soziale Probleme (z.B. soziale Isolation der Familie, geringer sozioökonomischer Status, problematische Wohnsituation bzw. (drohende) Obdachlosigkeit); innerfamiliäre Konstellationen (Gewalt in der Familie, Behinderung, Erkrankung bzw. Pflegebedürftigkeit eines Familienmitglieds, Trennungssituation); psychische/psychiatrische Krankheiten bzw. (Sucht-)krankheiten, etc.
    Es wäre wichtig, im Gespräch mit den Eltern die möglichen Problemfaktoren zu erkunden. Die Lösung dieser Probleme fällt selbstverständlich nicht in den Verantwortungsbereich der Lehrkraft und muss ggf. mit zuständigen Hilfsorganisationen (Bezirkssozialarbeiter/innen, Familienhilfe, Psycholog/innen, Jugendamt) abgeklärt werden.
  • Abwesenheit bzw. Zeitmangel aufgrund einer Belastung im Job: Durch einen zeitintensiven Job zur Gewährleistung des Einkommens kann es dazu kommen, dass die Schüler/innen an großen Teilen des Tages auf sich allein gestellt sind. Auch hier kann gemeinsam mit externen Anlaufstellen eine Verbesserung herbeigeführt werden.
  • Fehlendes Wissen/fehlendes Problembewusstsein: Mehrere Studien belegen einen Zusammenhang zwischen dem niedrigen Bildungsstand/niedrigen gesellschaftlichen ‚Status‘ und dem Umgang mit Hygiene (vgl. bspw. Janßen et.al. 2012; Lampert et.al. 2013). Auch hier können Externe (z.B. Familienhilfen) bei Bedarf unterstützen.

Weitere Informationen zu möglichen Gründen für die Kindesvernachlässigung sowie wichtige Risikofaktoren, die bei der Klärung der Situation zu berücksichtigen sind, finden sich hier:

Fragestellung 3

Beziehen Sie die Perspektive der beiden Geschwister in Ihre Überlegungen mit ein: Wie ergeht es den beiden Kindern in der beschriebenen Situation?

Die Geschwister sind hier in einer besonders schweren Lage. Trifft die Einschätzung der Situation durch die Lehrerin zu, so kann angenommen werden, dass durch die mangelhafte Ernährung und die schlechten hygienischen Umstände die Gesundheit der Kinder beeinträchtigt wird. Dies sollte unbedingt abgeklärt werden.

Aus der Situation geht hervor, dass die beiden Kinder in ihrer Klasse keinen Anschluss finden bzw. ausgegrenzt werden, was schnell zu einem Rückzug, sinkender Lernmotivation oder auch starker Frustration aufseiten der Kinder führen kann. Zudem ist es möglich, dass Kinder durch ihre Mitschüler/innen oder durch die Lehrkraft bereits mit kritischen oder gar abwertenden Sichtweisen auf ihre familiären Gepflogenheiten konfrontiert wurden. Werden die Eltern – die vermutlich wichtigsten Bezugspersonen der beiden Kinder – als schlechte Versorger/innen darstellt, können die Geschwister einen Vertrauensverlust in die Eltern erleben, was zu bedeutsamen inneren Konflikten führen kann. Hier ist es wichtig, dass die Kinder (und ihre Eltern) eine angemessene Unterstützung (z.B. durch schulpsychologische Beratung) erfahren. Vonseiten der Lehrkraft und der Mitschüler/innen ist besondere Sensibilität im Umgang mit den Kindern notwendig.

Fragestellung 4

Beziehen Sie die Perspektive der beiden Geschwister in Ihre Überlegungen mit ein: Wie ergeht es den beiden Kindern in der beschriebenen Situation?

Die anderen Schüler/innen erleben, dass sich die betroffenen Kinder von ihnen (im negativen Sinne) unterscheiden, was in dieser Situation offenbar zu Befremden und letztendlich zur Ablehnung führt. Hier können auch Gruppendynamiken eine wichtige Rolle spielen: Selbst wenn manche Kinder zu Beginn mit den Geschwistern aus Sympathie befreundet waren, kann der soziale Druck durch die erlebte Ablehnung durch anderen Kinder und die damit verbundene Angst der eigenen Ablehnung schnell dazu führen, dass diese Freundschaft beendet wird.

⬅️ Fall 2: Kindesvernachlässigung Fall 2.2 Impulse zur Falllösung: Mehrebenen-Interpretation ➡️