Fall 2.2 Impulse zur Falllösung: Mehrebenen-Interpretation
Versuchen Sie nun, die Situation über die individuelle Ebene hinaus zu interpretieren und dabei vorhandene institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Welche institutionellen Besonderheiten und rechtlichen Bestimmungen sind für die Situation u.U. relevant?
Allgemeine Rahmenbedingungen
Als Lehrerin handelt Frau G. im Auftrag des deutschen Bildungssystems, welches seinerseits an die Normen des deutschen Rechtssystems gebunden ist. Die Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht, aber auch die primäre Pflicht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht (vgl. Artikel 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland). In der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass Kinder ein Recht auf gesundheitliche Grundversorgung (damit ist auch eine angemessene Ernährung und Fürsorge inbegriffen) haben und die Eltern in der Pflicht sind, diese zu gewährleisten. Im Fall von Kindesvernachlässigung wird dieses Recht der Kinder verletzt, was dazu führen kann, dass auch das im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgeschriebene Recht jedes jungen Menschen auf „Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1, SGB VIII) nicht erfüllt werden kann.
Die Rechtsnorm des Kindeswohls
Die Rechtsnorm des Kindeswohls ist im §1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) festgehalten. Zum Begriff des Kindeswohls lässt sich anmerken, dass nicht optimale Erziehungsbedingungen und Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit zwar Hilfen erfordern, aber an sich noch keine Gefährdung darstellen. Dementsprechend beziehen sich „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefahrdung auf die Hinweise oder Informationen über Handlungen gegen Kinder und Jugendliche oder Lebensumstande, die das leibliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder Jugendlichen gefährden.
Weiterführende Informationen finden Sie hier: Zentrum Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (2012): Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII. URL: https://www.blja.bayern.de/service/bibliothek/fachliche-empfehlungen/schutzauftrag8a.php, letzter Zugriff am 09.08.2017.
Relevante Gesetzesverordnungen
Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) setzt eine Zusammenarbeit von Schulen mit Jugendämtern und Trägern der freien Jugendhilfe voraus. Bei Bekanntwerden von Tatsachen, dass das Wohl von Schüler/innen ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt ist und deshalb Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig sind, sind die Schulen in der Pflicht, das Jugendamt zu benachrichtigen (vgl. Art. 31 BayEUG). Das wird im Artikel 1 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz wie folgt konkretisiert (vgl. insbesondere § 4 „Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefahrdung“): Werden Berufsgeheimnisträger/innen (z.B. Lehrkräfte, Sozialpädagog/innen, Ärzt/innen, Berufspsychologen) gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt, sollte die Situation mit betroffenem Kind/Jugendlichen und Personensorgeberechtigten zunächst erörtert werden, um im nächsten Schritt gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken – wobei hier insbesondere darauf zu achten ist, dass der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt werden darf. Daher sollte bspw. bei Verdacht auf Kindesmisshandlung oder sexuellen Missbrauch in der Familie auf das klärende Elterngespräch verzichtet werden.
Darüber hinaus haben Berufsgeheimnisträger/innen Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (vgl. auch § 8a Absatz 4 SGB VIII und § 8b SGB VIII). Diese unternimmt die Gefährdungseinschätzung und erteilt die Befugnis zur Mitteilung und Datenübermittlung an das Jugendamt, wenn Gefahrdung nicht abgewendet werden kann.
Umgang mit Mobbing in der Schule
Ob die bestehende Mobbing-Situation angemessen bewältigt wird, hängt nicht nur von den Bemühungen der Lehrkraft und Mitwirkung der Eltern ab. Gerade (präventive) Maßnahmen auf der Schulebene, die fester Bestandteil des Schulalltags sind, spielen hier eine große Rolle. Unter anderem ist es wichtig, ob:
- an der Schule verpflichtende Regeln und Vereinbarungen gegen Mobbing und Gewalt aufgestellt sind;
- im Rahmen der Klassenleiterstunden an der Verbesserung des Klassenklimas gearbeitet wird;
- soziale kompetenz-Trainings bzw. Deeskalationstrainings für (alle) Schüler*innen angeboten werden;
- Fortbildungen zum Umgang mit Mobbing für das Kollegium angeboten werden;
- Maßnahmen gegen Mobbing hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft und evaluiert werden. Zur ausführlichen Information über den Umgang mit Mobbing auf institutioneller Ebene vgl. Sander, Wolfgang/Haarmann, Julia/Kühmichel, Sabine (2010): Was tun bei Mobbing? - Gegenmaßnahmen. URL: http://www.bpb.de/lernen/grafstat/mobbing/46532/konsequenzen-b5?p=all, letzter Zugriff am 09.08.2017.
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