Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik
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8. Rapid automatized Naming (RAN): Förderung der Benennungsgeschwindigkeit durch ein adaptives softwaregestütztes Training

Projektleiter: Prof. Dr. Andreas Mayer
Projektkoordination: Dr. Joana Wolfsperger
Kooperationspartner: 

  • Trout GmbH, Kassel (Martin Bussas) 
  • Sonderpädagogische Förderzentren: SFZ München-Süd, SFZ München-Ost, SFZ München Mitte 4  
  • Grundschulen: Guldeinstraße, Schrobenhausenerstraße, Am Hedernfeld, Am Schererplatz

1. Theoretischer Hintergrund und Ausgangslage

Um der Ausbildung von Schriftspracherwerbsstörungen präventiv entgegenwirken zu können, ist es Aufgabe wissenschaftlicher Forschung, möglichst frühzeitig umsetzbare unterrichtliche Fördermaßnahmen und Therapiekonzepte zu entwickeln und zu evaluieren.
Im Zusammenhang mit Schriftspracherwerbsstörungen liegen zahlreiche Belege dafür vor, dass Beeinträchtigungen im Bereich der phonologischen Informationsverarbeitung kausal mit Lese-Rechtschreibstörungen verknüpft sind. Während dabei zwischen den 1980er und 2000er Jahren v.a. die Funktion der phonologischen Bewusstheit in ihren Zusammenhängen mit der Lese-Rechtschreibkompetenz im Vordergrund stand, liegen mittlerweile zahlreiche empirische Belege vor, dass die Benennungsgeschwindigkeit (rapid automatized naming = RAN) einen mindestens ebenso großen, von der phonologischen Bewusstheit weitgehend unabhängigen Einfluss insbesondere auf die Lesekompetenz ausübt und besonders gut zwischen durchschnittlichen Lesern und leseschwachen Schülerinnen und Schülern differenzieren kann (Kirby et al. 2010, Norton & Wolf 2012, Araujo et al. 2015, Georgiou et al. 2016, Mayer 2018).

Bei der Benennungsgeschwindigkeit handelt es sich um die Fähigkeit, die Items einer dem Probanden vertrauten Symbolfolge (Buchstaben, Zahlen, Farben) möglichst schnell zu verarbeiten und zu identifizieren, die entsprechenden verbalen Repräsentationen im Langzeitgedächtnis zu aktivieren und das entsprechende Wort (oder den entsprechenden Laut) zu artikulieren (Mayer 2016, vgl. Abb. 2). ). Es liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor, die belegen, dass die Benennungsgeschwindigkeit die Funktion der phonologischen Informationsverarbeitung darstellt, die in besonders engem Zusammenhang mit der automatisierten Worterkennung und damit der Lesegeschwindigkeit steht (Holopainen et al. 2001, Brizzolara et al 2006), während die phonologische Bewusstheit v.a. die Entwicklung der Rechtschreibkompetenz beeinflusst (Wimmer & Mayringer 2002, Berendes et al. 2006).
Dem Projekt liegt die Annahme zugrunde, dass Defizite in der Benennungsgeschwindigkeit die Konsequenz einer beeinträchtigten Verarbeitungsgeschwindigkeit darstellen, die im Bereich der Verarbeitung und Identifizierung visueller Symbole und/oder der Zugriffsgeschwindigkeit auf phonologische Repräsentationen offensichtlich werden können. Diese Problematik führt beim Lesen dazu, dass die visuelle Verarbeitung der einzelnen Buchstaben und/oder der Zugriff auf die entsprechenden Phoneme verzögert ablaufen. Die daraus resultierende zu große zeitliche Distanz zwischen der Identifizierung und Verarbeitung der einzelnen Buchstaben eines Wortes stellt einen Grund dafür dar, dass es den Kindern nur unter erschwerten Bedingungen gelingt, häufig vorkommende Buchstabenfolgen als wiederkehrende orthographische Muster zu erkennen, abzuspeichern und für die direkte Worterkennung zu nutzen (Bowers & Wolf, 1993, Bowers, et al. 1994, Bowers & Newby-Clark, 2002). Betroffene Kinder bleiben damit auf die serielle Verarbeitung einzelner Buchstaben (phonologisches Rekodieren) angewiesen und haben besondere Schwierigkeiten bei der Ausbildung der direkten Worterkennung.
Die Effektivität einer Förderung der Benennungsgeschwindigkeit konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Die Studien, die auf eine Verbesserung der Verarbeitungsgeschwindigkeit durch ein Training des schnellen Benennens visueller Symbole abzielten, konnten keine Überlegenheit geförderter Kinder im Vergleich zu einer Kontrollgruppe belegen (Berglez 2002, de Jong & Vrielink 2004, Conrad & Levy 2011), geschweige denn Auswirkungen auf die Lesefähigkeit erzielen. Gemein ist diesen Interventionsstudien, dass die Förderung der Benennungsgeschwindigkeit der Methodik folgte, die Schülerinnen und Schüler die üblicherweise zur Überprüfung der Benennungsgeschwindigkeit eingesetzten RAN-Tests (Abb. 1) über einen längeren Zeitraum hochfrequent benennen zu lassen.

 

2. Ziele

Das Projekt zielt auf die Evaluation eines softwaregestützten Trainings zur Verbesserung der Benennungsgeschwindigkeit und der Leseflüssigkeit. Fortschritte im Bereich der Benennungsgeschwindigkeit sollte es den Kindern ermöglichen, ihre Aufmerksamkeit auf häufig vorkommende orthographische Muster zu lenken und diese ganzheitlich simultan zu verarbeiten, sodass das buchstabenweise Erlesen von Wörtern durch die orthographische Lesestrategie ergänzt werden kann. Da sich leseschwache Kinder im deutschsprachigen Raum v.a. durch eine beeinträchtigte automatisierte Worterkennung resultierend aus einem zu langen Verharren auf der Strategie des phonologischen Rekodierens charakterisieren lassen (Wentink et al. 1997), zielt die Intervention auf die Kernsymptomatik leseschwacher Schüler im deutschsprachigen Raum.

Zielgruppe: Schülerinnen und Schüler aus zweiten Klassen mit beeinträchtigter Benennungsgeschwindigkeit (T-Wert < 40) und Schwierigkeiten im Bereich der Lesegeschwindigkeit (PR < 16 in einem der beiden Subtests des SLRT II (Moll/Landerl, 2010) die die indirekte Strategie des phonologischen Rekodierens bereits beherrschen. Angestrebt wird ein Stichprobenumfang von ca. N= 100 Kindern, die clusterrandomisiert zu gleichen Teilen auf eine Trainings- und eine Kontrollbedingung aufgeteilt werden.

 

3. Intervention

Die im Rahmen des Projekts eingesetzte Methodik zum Training der Benennungsgeschwindigkeit unterscheidet sich von den bislang durchgeführten Bedingungen grundlegend, indem ein Computerprogramm zum Einsatz kommt, mit dem die Präsentationszeit der Symbole – angepasst an die jeweils aktuelle Benennungsgeschwindigkeit der Schüler - verkürzt wird, sodass die Probanden zu einer schnelleren Verarbeitung „gezwungen“ werden.
Das softwaregestützte Training der Benennungsgeschwindigkeit wird zweimal pro Woche in einem Umfang von ca. 15 Minuten pro Fördereinheit durchgeführt. In einer vorher festgelegten Reihenfolge hat das Kind die Aufgabe, die verschiedenen Symbole (Buchstaben, Zahlen, Farben) so schnell wie möglich zu benennen. Pro Fördereinheit finden ca. zwei Durchgänge pro Kategorie statt. Dabei wird zum einen die Anzahl unterschiedlicher Stimuli sukzessive gesteigert und damit die Wiederholungsfrequenz der Items reduziert, zum anderen findet eine Anpassung der Präsentationszeit der Symbole an die aktuelle Benennungsgeschwindigkeit des Kindes statt. Nach jedem erfolgreichen Durchgang wird die Präsentationszeit um 0,03 Sekunden pro Item reduziert. Das Training ist beendet, wenn das Kind ein vorher festgelegtes Erfolgskriterium erreicht hat, konkret wenn das Kind auf der Grundlage der normierten Vergleichswerte aus TEPHOBE eine durchschnittliche Leistung erzielt (mindestens T-Wert 40). Um einen möglichst stabilen Trainingseffekt zu gewährleisten, wird das Training nach Erreichen dieses Kriteriums noch maximal fünf Fördereinheiten weitergeführt. Spätestens nach 20 Fördereinheiten ist das Training zu Ende, auch wenn die Studienteilnehmer zu diesem Zeitpunkt das Erfolgskriterium nicht erreicht haben. Die Förderung umfasst unter Berücksichtigung von Ferienzeiten einen Zeitraum von ca. 12 Wochen.

 

4. Methode

Die Effektivität des Trainingsprogramms wird im Rahmen einer cluster-randomisierten und kontrollierten Interventionsstudie evaluiert. Dabei werden die Auswirkungen der softwaregestützten Förderung (EG) in einem Prä-Post-Follow Up-Test-Design (T1 – Förderung – T2 – T3) mit einer „No-Treatment-Kontrollgruppe“ (KG) verglichen. Mit Hilfe dieses methodischen Vorgehens soll auch die langfristige Stabilität der Trainingseffekte (3 Monate nach Trainingsende) ermittelt werden. Abbildung 1 gibt einen Überblick über den Ablauf der geplanten Interventionsstudie.


foto 1

Messverfahren

Überprüfung der Benennungsgeschwindigkeit (RAN-Test)
Für die Erfassung der Benennungsgeschwindigkeit werden zwei Subtests des TEPHOBE (RAN Buchstaben, RAN Zahlen) (Mayer 2018) durchgeführt. Die Kinder bekommen die Aufgabe, fünf unterschiedliche Symbole, die jeweils zehnmal wiederholt werden möglichst schnell zu benennen (Abb. 2).

foto 2

Überprüfung der Lesegeschwindigkeit
Da über eine Verbesserung der Benennungsgeschwindigkeit eine Erhöhung der Lesegeschwindigkeit angestrebt wird, stellt die Worterkennungsgeschwindigkeit die primäre Outcome-Variable dar. Um diese Variable zu bestimmen kommen die beiden „Ein Minuten Leseflüssigkeitstests“ des Salzburger Lese-Rechtschreibtests“ (SLRT II; Moll/Landerl 2010) zum Einsatz. Mit Hilfe des „Subtests zur Erfassung des synthetischen Lesens“ (Lesen von Pseudowörtern) kann die Geschwindigkeit bei der Anwendung der indirekten Lesestrategie bestimmt werden. Die direkte, automatisierte Worterkennung wird über die Lesegeschwindigkeit für echte Wörter erfasst.

Cluster-randomisierte Zuteilung der Teilnehmer zu drei Bedingungen
Die teilnehmenden Kinder werden zu gleichen Teilen auf die Kontrollbedingung (n=50) sowie die Experimentalbedingungen (n= 50) aufgeteilt. Um zu verhindern, dass auch Kinder der Kontrollgruppe mit dem Material der Experimentalgruppen in Berührung kommen, erfolgt eine clusterrandomisierte Zuteilung zu den Versuchsbedingungen, so dass alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler einer Schule jeweils der gleichen Bedingung zugeordnet werden
In der KG findet im Rahmen des Projekts keine vom Forschungsteam initiierte spezifische Förderung der Benennungsgeschwindigkeit statt.

 

Literaturverzeichnis

• Araujo, S., Reis, A., Petersson, K.M. & Faisca, M. (2015). Rapid automatized naming and reading performance: A meta-analysis. Journal of Educational Psychology 107, 3, 868-883.
• Berendes, K., Schnitzler, C., Willmes, K., Huber, W. (2010): Die Bedeutung von Phonembewusstheit und semantisch-lexikalischen Fähigkeiten für Schriftsprachleistungen in der Grundschule. Sprache, Stimme und Gehör 34, e33-e41
• Berglez, A. (2003): Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Ein Training der Benennungsgeschwindigkeit. Universität Bielefeld.
• Bowers, P.G., Golden, J.O., Kennedy, A., Young, A. (1994): Limits upon orthographic knowledge due to processes indexed by naming speed. In: Berninger V.W. (Hrsg.): The varieties of orthographic knowledge: Theoretical and developmental issue. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht/Boston/London, 173–218
• Bowers, P.G., Newby-Clark, E. (2002): The role of naming speed within a model of reading acquisition. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal 15, 109–126
• Bowers, P.G., Wolf, M. (1993): Theoretical links among naming speed, precise timing mechanisms and orthographic skill in Dyslexia. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal 5, 69-85
• Brizzolara, W., Chilosi, A., Cipriani, A., Gasperini, F., Mazzotti, S., Pecini, C., Zoccolotti, P. (2006): Do Phonologic and Rapid Automatized Naming Deficits Differentially Affect Dyslexic Children With and Without a History of Language Delay? A Study of Italian Dyslexic Children. Cognitive and Behavioral Neurology 19, 141-149
• Conrad, N.J., Levy, B.A. (2011): Training letter and orthographic pattern recognition in children with slow naming speed. Reading and Writing: An interdisciplinary Journal 24, 91-115
• De Jong, P.F., Vrielink, L.O. (2004): Rapid Automatic Naming: Easy to Measure, Hard to Improve (Quickly). Annals of Dyslexia 54, 65-88
• Georgiou, G.K., Parilla, R. & Papadopoulos, T.C. (2016). The anatomy of the RAN-reading relationship. Reading and Writing. An interdisciplinary Journal 29, 9, 1793-1815.
• Holopainen, L., Ahonen, T., Lyytinen, H. (2001): Predicting Delay in Reading Achievement in a Highly Transparent Language. Journal of Learning Disabilities 34, 401-413
• Kirby, J.R., Georgiou, G.K., Martinussen, R., Parilla, R. (2010): Naming Speed and Reading: From Prediction to Instruction. Reading Research Quarterly 45, 341-362
• Mayer, A. (2016): Lese-Rechtschreibstörungen. München: Reinhardt Verlag
• Mayer, A. (2018): Benennungsgeschwindigkeit und Lesen. Forschung Sprache 6, 20-43
• Moll, K., Landerl, K. (2010): SLRT II. Lese- und Rechtschreibtest. Weiterentwicklung des Salzburger Lese- und Rechtschreibtests (SLRT). Hogrefe, Göttingen
• Norton, E.S.; Wolf, M. (2012): Rapid Automatized Naming (RAN) and Reading Fluency: Implications for Understanding and Treatment of Reading Disabilities. Annual Review Psychology 63, 427-452
• Wentink, H. W., van Bon, W. H., Schreuder, R. (1997): Training of Poor Readers’ Phonological Decoding Skills: Evidence for Syllable-Bound Processing. Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal 9, 163-192
• Wimmer, H., Mayringer, H. (2002): Dysfluent Reading in the Absence of Spelling Difficulties: A Specific Disability in Regular Orthographies. Journal of Educational Psychology 94, 272-277
• Wolf, M., Bowers, P.G. (1999): The double deficit hypothesis for the developmental Dyslexia. Journal of Educational Psychology 91, 415-438


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