Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik
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9. Sprachliche Einschränkungen bei Kindern mit Verhaltensstörungen

Projektleiter: Prof. Dr. Andreas Mayer

Kooperationspartner:
- Universität zu Köln, Lehrstuhl für Sprachbehindertenpädagogik in schulischen und außerschulischen Bereichen (PD Dr. Tanja Ulrich, Clara Schramm)
- Schulen zur Erziehungshilfe (München und Umgebung): Otto Speck Schule, Wichern Schule, Heimschule Birkeneck
- Sonderpädagogische Förderzentren: Josef Landes Schule (Kaufbeuren), SFZ München Nord, SFZ München Nord-Ost, SFZ Poing

Laufzeit: November 2021 – Dezember 2022

 

1. Theoretischer Hintergrund und Ausgangslage

Während mittlerweile zahlreiche Ergebnisse insbesondere aus dem angloamerikanischen Raum vorliegen, die die negativen Auswirkungen von Spracherwerbsstörungen auf die sozio-emotionale und schulisch-kognitive Entwicklung belegen, wurden die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern mit Störungen des Verhaltens und der Emotionalität im deutschsprachigen Raum noch nicht in ausreichender Differenziertheit erfasst.
Aus dem angloamerikanischen Raum stammen Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass sich auch Kinder und Jugendliche mit Verhaltensschwierigkeiten oder psychiatrischen Diagnosen überproportional häufig durch sprachliche Probleme charakterisieren lassen (Helland, Lundervold, Heiman & Posserud, 2014; Durkin & Conti-Ramsden, 2010). Bspw. konnten Hollo et al. (2014) in einer Metaanalyse zeigen, dass bei 81% der Kinder mit sozialen und emotionalen Schwierigkeiten, die zu keinem Zeitpunkt ihrer Entwicklung Sprachförderung/ Sprachtherapie erhielten, unterdurchschnittliche sprachliche Leistungen nachgewiesen werden konnten, die bei immerhin 47% im therapiebedürftigen Bereich angesiedelt waren.

Dass es sich dabei häufig um sprachliche Schwierigkeiten handelt, die in der Praxis nicht entdeckt oder marginalisiert werden, legen die Ergebnisse einer Untersuchung von Chow & Hollo (2018) nahe. Während die Ergebnisse der normierten sprachlichen Überprüfung bei 60% der Kinder eine sprachliche Beeinträchtigung nahelegten, beurteilten die Lehrkräfte lediglich 35% der Kinder als sprachlich auffällig. 53% der Kinder, die bei den sprachlichen Überprüfungen unterdurchschnittlich abschnitten, wurden von den Lehrkräften als sprachlich unauffällig eingeschätzt, sodass diese nicht die notwendige spezifische Unterstützung erhalten, um ihre sprachlichen Beeinträchtigungen zu überwinden.
Für die schulische Praxis ist anzunehmen, dass Verhaltensschwierigkeiten die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte so sehr bündeln und den Unterrichtsalltag so sehr belasten, dass der Förderbedarf im Bereich Sprache nicht erkannt oder nachrangig behandelt wird und betroffene Kinder nicht die spezifische Unterstützung erhalten. Diese Gefahr ist insbesondere dann erheblich, wenn es sich um weniger offensichtliche Probleme im Bereich des Sprachverstehens handelt, da die nicht erwarteten Reaktionen auf sprachliche Aufforderungen etc. in der Praxis häufig auf eingeschränkte kognitive Fähigkeiten Ungehorsam, Trotz, Unehrlichkeit, mangelnde Disziplin, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten, aber nicht auf mögliche Sprachverständnisschwierigkeiten zurückgeführt werden.

„Eine intakte Sprachentwicklung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die sozio-emotionale Entwicklung, die kognitive und somit schulische und berufliche Entwicklung des Kindes (Noterdaeme, 2008, S. 46). Intakte sprachliche Fähigkeiten stellen einen Schlüssel zur Integration in unterschiedliche Lebensbezüge dar. Mit Hilfe von Sprache werden soziale Kontakte initiiert und aufrechterhalten. Sprachliche Fähigkeiten stellen ein wesentliches Mittel zur Regulierung der eigenen emotionalen Befindlichkeit dar. Von daher erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass Schwierigkeiten im sozialen und emotionalen Bereich auch formalsprachliche und pragmatische Defizite zugrunde liegen können und demzufolge Unterstützungsmaßnahmen aus dem Bereich der Sprachheilpädagogik auch einen Beitrag zur Überwindung sozialer und emotionaler Schwierigkeiten leisten können.

 

2. Zielsetzungen und Forschungsfragen

In welchem Ausmaß lassen sich bei Kindern mit Verhaltensschwierigkeiten sprachliche Beeinträchtigungen auf den Ebenen des Wortschatzes, des Sprachverständnisses, der Grammatik und Pragmatik nachweisen?
Lassen sich bei Kindern mit externalisierenden vs. internalisierenden Verhaltensschwierigkeiten unterschiedliche sprachliche Schwierigkeiten nachweisen?

 

3. Methode

3.1 Stichprobe

Nach Genehmigung des Projekts durch die Regierung von Oberbayern wurden Schulen zur Erziehungshilfe und Sonderpädagogische Förderzentren in München kontaktiert und zur Teilnahme am Projekt eingeladen. Insgesamt konnten acht Schulen mit insgesamt 14 dritten und vierten Klassen für die Studie gewonnen werden.
Die Erfassung der pragmatischen Fähigkeiten und der Verhaltensschwierigkeiten der Kinder erfolgte über zwei Fragebögen, die die Lehrkräfte im Dezember 2021 ausfüllten
An der Sprachdiagnostik zwischen Februar und April 2022 sollen alle Kinder teilnehmen, für die eine Einverständniserklärung der Eltern vorlag.
Insgesamt sollen auf diese Weise 130 Kinder aus dritten und vierten Klassen hinsichtlich ihrer sprachlichen Fähigkeiten überprüft werden.

3.2 Messinstrumente

Verhaltensauffälligkeiten (Diagnosesystem psychischer Störungen, DISYPS-III, Döpfner & Görtz-Dorten, 2017)

bild 1

Pragmatische Fähigkeiten (Children´s Communication Check List, CCC, Bishop 1998)

bild 2

Grammatik (SET 5-10; Petermann 2018)

bild 3

Sprachverständnis (TROG-D, Fox 2016)

bild 4

Produktiver Wortschatz (WWT 6-10, Glück 2011)

bild 5

Rezeptiver Wortschatz (PPVT – 4; Lenhard et al. 2015)

bild 6

4. Outcome

Ergebnisse werden Ende 2022 vorgelegt werden.

 

Literatur

  • Bishop, D. (1998). Development of the Children´s Communication Checklist (CCC). A method for assessing qualitative aspects of communicative impairment in children. Journal of Child Psychology and Psychiatry 39, 879-891.
  • Chow,J.C., Hollo, A. (2018). Language Ability of Students with Emotional Disturbance: Discrepancies Between Teacher Ratings and Direct Assessment. Assessment for Effective Intervention 43, 90 – 95
  • Döpfner, M., & Görtz-Dorten, A. (2017). DISYPS-III: Diagnostik-System für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-5 für Kinder und Jugendliche-III. Göttingen: Hogrefe.
  • Durkin, K. & Conti-Ramsden, G. (2010). Young people with specific language impairment: A review of social and emotional functioning in adolescence. Child Language Teaching and Therapy 26, 105-121.
  • Fox, A. (2016). TROG-D. Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (7. Aufl.).Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.
  • Glück, C. (2011). Wortschatz- und Wortfindungstest für sechs- bis zehnjährige (WWT 6-10). München: Elsevier Verlag.
  • Helland, W., Lundervold, A. J., Heimann, M. & Posserud, M. J. (2014). Stable associations between behavioral problems and language impairments across childhood - The importance of pragmatic language problems. Research in Developmental Disabilities 35, 943-951.
  • Hollo, A., Wehby, J.H., Oliver, R.M. (2014). Unidentified Language Deficits in Children with Emotional and Behavioral Disorders: A Meta-Analysis. Exceptional Children 80, 169-186
  • Lenhard, A., Lenhard, W. Segerer, R. Suggate, S. (2015). Peabody Picture Vocabulary Test – 4 (PPVT-4). Frankfurt: Pearson.
  • Noterdaeme, M. (2008). Psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern. Forum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie 39, 38-49.
  • Petermann, F. (2018). Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10). 3. Auflage. Göttingen: Hogrefe
  • Spreen-Rauscher, M. (1998). Die Children´s Communication Checklist” (Bishop 1998) – ein orientierendes Verfahren zur Erfassung kommunikativer Fähigkeiten. Die Sprachheilarbeit 48, 91- 104