Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik
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5. Förderbedarf Sprache bei Schülerinnen und Schülern an Sonderpädagogischen Förderzentren

 

Förderzentren

Projektleiter: Prof. Dr. Andreas Mayer

Kooperationspartner: SFZ München Mitte 1, SFZ München Mitte 2, SFZ Unterschleißheim, SFZ München West, SFZ München Nord-Ost, SFZ Fürstenfeldbruck
Laufzeit: Oktober 2019 – Juli 2020

1. Theoretischer Hintergrund und Ausgangslage


An Sonderpädagogischen Förderzentren in Bayern werden Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischen Unterstützungsangeboten in den Bereichen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache gemeinsam beschult. Aufgrund der besonders offensichtlich werdenden Probleme im sozio-emotionalen Bereich, die Lehrkräfte tagtäglich vor enorme Herausforderungen stellt, verbunden mit der vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus angestrebten Stärkung der Verhaltensgestörtenpädagogik (Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung), drohen die spezifischen Förderbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen im Bereich Sprache vielerorts aus dem Blick zu geraten.
Andererseits legen die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Forschungsarbeiten insbesondere aus dem angloamerikanischen Raum negative Auswirkungen sprachlicher Beeinträchtigungen auf die sozio-emotionale und schulisch-kognitive Entwicklung nahe, sodass zumindest für einen Teil der sozio-emotionalen Problematik sowie der schulischen Lernschwierigkeiten sprachliche Einschränkungen eine ursächliche Rolle spielen könnten. Bspw. lassen sich Kinder mit Spracherwerbsstörungen dadurch charakterisieren, dass sie im Vergleich zu sprachunauffälligen Kindern weniger häufig an positiven sozialen Interaktionen mit Gleichaltrigen involviert sind und weniger kommunikativ auf Interaktionsangebote anderer reagieren. In der Interaktion gelingt es ihnen weniger gut, ihre eigenen Bedürfnisse zu artikulieren und die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und zu berücksichtigen, was sich wiederum auf den sozialen Status betroffener Kinder auswirken könnte. Immerhin bei 40% der 16-jährigen ehemals als spracherwerbsgestört diagnostizierten Jugendlichen konnte im Rahmen der Manchester Studie eine geringe Qualität der sozialen Beziehungen nachgewiesen werden (Durkin/Conti-Ramsden, 2007). Darüber hinaus erfahren Kinder und Jugendliche mit sprachlichen Beeinträchtigungen von Altersgenossen weniger Akzeptanz, werden seltener als Spielkameraden ausgewählt (Dannenbauer 2001), sind aber häufiger Opfer von Mobbing in der Schule (Knox et al. 2003). Sie sind seltener in der Lage ihr Leben autonom zu gestalten (Conti-Ramsden/Durkin 2008) und lassen sich durch ein geringeres Selbstwertgefühl charakterisieren (Wadman et al. 2008), sodass sie Gefahr laufen, „eine Außenseiterkarriere mit niedrigem Selbstvertrauen und sozialen Problemen zu durchlaufen“ (Grimm/Wilde 1998, zit. Dannenbauer 2001, 105). Der enge Zusammenhang zwischen Spracherwerbsstörungen und sozialen Schwierigkeiten lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass sprachlich beeinträchtigte Kinder und Jugendliche weniger gut in der Lage sind, Sprache als Medium einzusetzen, um positive soziale Kontakte zu knüpfen und aufrecht zu erhalten.
Snowling et al. (2001) analysierten die schulischen Leistungen von sechzehnjährigen Jugendlichen, bei denen mit vier Jahren eine Spracherwerbsstörung festgestellt wurde. Aufgrund schlechter schulischer Leistungen wurden diese Jugendlichen in der Sekundarstufe nur zu halb so viele Examina wie die Kontrollgruppe zugelassen. Noch deutlicher fallen die Ergebnisse in der Untersuchung von Clegg et al. (2005) aus. Nur einer der im Alter von 34 Jahren untersuchten ehemals spracherwerbsgestörten Schüler konnte einen erfolgreichen Abschluss der Sekundarstufe vorweisen. 30% hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung keinen Arbeitsplatz, die anderen gingen zum großen Teil ungelernten Hilfsjobs nach. Einer Forschungsarbeit aus Deutschland von Füchsel/Hellmann (2014) zufolge besuchten 36% spracherwerbsgestörter Kinder, die zunächst einen Sprachheilkindergarten und anschl. eine Schule zur Sprachförderung besuchten, also insgesamt etwa sechs Jahre sprachheilpädagogische Unterstützung erhielten, nach der Primarstufe eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Auch wenn dies bedeutet, dass etwa zwei Drittel der Schüler der Sprachheilschule im „Regelschulsystem“ verbleiben konnten, sind Absolventen der Sprachheilgrundschule an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen deutlich überrepräsentiert.
Für den deutschsprachigen Raum konnte Romonath (2003) zeigen, dass spracherwerbsgestörte Kinder nach Abschluss der Primarstufe, trotz vergleichbarer kognitiver Fähigkeiten in der Sek 1 niedrigere Bildungsgänge wählten als diejenigen der Regelgrundschule. Gegenüber dem Landesdurchschnitt besuchen doppelt so viele Sprachheilschüler die Hauptschulen, während verglichen mit der Regelschulquote nur ein Fünftel von ihnen das Gymnasium besuchte.
Dabei reduzieren sich die Lernschwierigkeiten sprachlich beeinträchtigter Kinder keinesfalls auf sprachliche Fächer wie Deutsch. Es liegen mittlerweile zahlreiche Hinweise vor, dass spracherwerbsgestörte Kinder auch im Bereich der Mathematik signifikant schlechtere Leistungen erzielen als sprachlich unauffällige Schüler. Bspw. konnte in einem eigenen Projekt am Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik (vgl. 4. Zusammenhänge zwischen sprachlichen Fähigkeiten und mathematischen Kompetenzen) gezeigt werden, dass sprachlich beeinträchtigte Kinder nicht nur im Bereich der sachbezogenen Mathematik, sondern insbesondere auch beim Erwerb basisnumerischer Fähigkeiten benachteiligt sind, wobei durchgängig große Effektstärken identifiziert werden konnten.

2. Zielsetzungen und Forschungsfragen


Das Forschungsprojekt verfolgt das Ziel, das Ausmaß sprachlichen Förderbedarfs auf den Ebenen der Aussprache, Grammatik, Wortschatz und Sprachverständnis bei Schülern an Sonderpädagogischen Förderzentren festzustellen. Darüber hinaus soll deutlich werden, welche sprachlichen Komponenten am stärksten betroffen sind. Die Ergebnisse können sowohl Konsequenzen für die universitäre Ausbildung im Fach Sprachheilpädagogik nach sich ziehen, aber auch Lehrkräften an sonderpädagogischen Förderzentren deutlich machen, worauf sie im Rahmen der unterrichtsintegrierten Sprachförderung besonders achten sollten.

3. Methode


3. 1 Stichprobe
In Kooperation mit der Regierung von Oberbayern wurden alle Sonderpädagogischen Förderzentren in München kontaktiert und zur Teilnahme am Projekt eingeladen. Insgesamt konnten sechs Schulen mit insgesamt 12 ersten Klassen für die Studie gewonnen werden. An der Sprachdiagnostik nahmen alle Kinder der Klassen teil, für die eine Einverständniserklärung der Eltern vorlag. Insgesamt konnten auf diese Weise knapp 100 Kinder der ersten Klassen hinsichtlich ihrer sprachlichen Fähigkeiten überprüft werden.

3. 2 Messinstrumente
Aussprache (PLAKSS II; Fox 2014)

Mit Hilfe von 95 Bildern, die die Kinder benennen sollen, werden die Aussprachefähigkeiten der Kinder überprüft.

PLAKSS II

Die Äußerungen der Kinder werden hinsichtlich phonologischer Prozesse analysiert.

Syntax und Morphologie (ESGRAF 4-8, Motsch & Rietz 2017)

Mit Hilfe einer kindgemäßen motivierenden Spielsituation rund um das Thema Zirkus werden die syntaktisch-morphologischen Fähigkeiten der Verbzweitstellung, der Subjekt-Verb-Kontrollregel,

ESGRAF 4-8der Verbendstellung in subordinierten Nebensätzen, Genus, Kasus und Plural überprüft.

Sprachverständnis (TROG-D, Fox 2016)

Den Kindern werden Sätze vorgesprochen. Sie haben die Aufgabe aus vier Alternativen auf das am besten passende Bild zu zeigen.

TROG-DAuf diese Weise wird das Verstehen der wichtigsten grammatischen Strukturen des Deutschen (Verneinung, Relativsätze, Passiv, etc.) überprüft.

Wortschatz (WWT 6-10, Glück 2011)

Überprüfung der expressiven lexikalischen Fähigkeiten mittels Bildbenennung (Nomen, Verben, Adjektive, kategoriale Oberbegriffe).WWT 6-10

Überprüfung des rezeptiven Wortschatzes durch eine Bildzeigeaufgabe; den Kindern Den Kindern werden Wörter vorgesprochen. Sie haben die Aufgabe aus vier Alternativen auf das am besten passende Bild zu zeigen.

 

Outcome:

Mayer, A. (2021): Ein Plädoyer für die Bedeutung der Sprachheilpädagogik in schulischen Kontexten. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 90, 41-54

Mayer, A. (angenommen): Förderbedarf Sprache an Sonderpädagogischen Förderzentren. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete

 

Literatur

  • Clegg, J., Hollis, C., Mawhood, L. Rutter M. (2005). Developmental language disorders--a follow-up in later adult life. Cognitive, language and psychosocial outcomes. Journal of Child Psychology and Psychiatry 46, 128-49.
  • Conti-Ramsden, G.; Botting, N. (2008): Emotional health in adolescents with and without a
    Dannenbauer, F. M. (2001): Chancen der Frühintervention bei spezifischer Sprachentwicklungsstörung. In: Die Sprachheilarbeit 46, 103--111.
  • Durkin, K.; Conti-Ramsden, G. (2007): Language, social behavior, and the quality of friendships in adolescents with and without a history of specific language impairment. In: Child Development 78, 1441--1457.
  • Fox, A. (2016). TROG-D. Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (7. Aufl.).Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.
  • Füchsel, S.; Hellmann, A. (2014): Evaluation der Förderung im Sprachheilkindergarten. Retrospektive Bewertung der teilstationären Sprachheilbehandlung aus Sicht der Eltern und schulischer Werdegang ehemaliger Kinder eines Sprachheilkindergartens. Praxis Sprache 59, 151-160.
  • Glück, C. (2011). Wortschatz- und Wortfindungstest für sechs- bis zehnjährige (WWT 6-10). München: Elsevier Verlag.
  • Knox, E.; Conti-Ramsden, G. (2003): Bullying risks of 11-year-old children with specific language impairment (SLI): does school placement matter? In: International Journal of Language and Communication Disorders 38, 1--12.
  • Motsch, H.J., Rietz, Ch. (2017). ESGRAF 4-8. Grammatiktest für 4-8-jährige Kinder. München: Reinhardt
  • Romonath, R. (2003): Sprachentwicklungsstörungen im Jugendalter: Empirische Befunde und deren theoretische und praktische Einordnung. In. M. Grohnfedt (Hrsg.): Spezifische Spracherwerbsstörungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dr. F.M. Dannenbauer: Würzburg: edition von freisleben. 100-123.
  • Snowling , M.J.; Adams, J.W.; Bishop. D.V.M.; Stothart, S.E. (2001): Educational attainments of school leavers with a preschool history of speech-language impairments. International Journal of Language and Communication Disorders 36, 173-183.
  • Wadman, Ruth/ Durkin, Kevin/ Conti-Ramsden, Gina: Self-Esteem, Shyness, and Sociability in Adolescents with Specific Language Impairment (SLI). In: Journal of speech, language, and hearing research 51 (2008), S. 938-952.

 


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